Der US-amerikanische Flugzeughersteller Boeing hat einen im Jahre 2023 gestellten Antrag auf Ausnahmegenehmigung für das sogenannte Stall Management Yaw Damper (SMYD)-System des Flugzeugtyps 737 Max 7 zurückgezogen.
Boeing hatte die Federal Aviation Administration (FAA) gebeten, das SMYD-System von bestimmten Vorschriften bezüglich der Widerstandsfähigkeit elektrischer Systeme gegenüber Blitzeinschlägen auszunehmen. Nunmehr erklärt der Hersteller, daß der Flugzeugtyp die bundesstaatlichen Vorschriften vollständig erfüllen werde, wodurch die ursprünglich beantragte Ausnahmegenehmigung hinfällig geworden sei. Diese Entwicklung ist ein wichtiges Signal für die Zertifizierung der verbleibenden Varianten der 737 Max-Familie und für das Vertrauen in die Einhaltung strenger Sicherheitsstandards.
Das Stall Management Yaw Damper (SMYD)-System: Funktionsweise und regulatorische Anforderungen
Das Stall Management Yaw Damper (SMYD)-System ist eine zentrale Komponente in der Flugsteuerung von Boeing-Flugzeugen, insbesondere der 737-Reihe. Seine Hauptaufgabe besteht darin, das Strömungsabrißpotential (Stall) eines Flugzeuges bei einem bestimmten Anstellwinkel (Angle of Attack, AOA) zu berechnen und den Piloten die minimalen und maximalen Geschwindigkeiten anzuzeigen. Sollte sich das Flugzeug einem Strömungsabriß nähern, warnt das System die Flugbesatzung durch die Aktivierung des sogenannten „Stick Shaker“, einem Rüttler am Steuerknüppel, vor der drohenden Gefahr. Die ordnungsgemäße Funktion und die Widerstandsfähigkeit dieses Systems sind daher von höchster sicherheitsrelevanter Bedeutung.
Im Juni 2023 hatte Boeing die FAA um eine Ausnahmegenehmigung für die 737 Max 7 gebeten, da die Software des SMYD-Systems nach Herstellerangaben nicht zwei spezifische Teile des United States Code of Federal Regulations (CFR) erfüllte. Diese Vorschriften fordern, daß jedes elektrische und elektronische System so konstruiert und installiert sein muß, daß es nicht durch Blitzeinschläge und/oder hochintensive Strahlungsfelder (High-Intensity Radiated Fields, HIRF) beeinträchtigt wird. Das bedeutet, daß alle kritischen Systeme, wie das SMYD, auch unter extremen elektromagnetischen Bedingungen einwandfrei funktionieren müssen, um die Sicherheit des Flugbetriebs jederzeit zu gewährleisten. Boeings ursprünglicher Antrag deutete darauf hin, daß die damalige Ausführung der SMYD-Software in diesem Punkt noch Nachbesserungsbedarf aufwies, um den aktuellen Anforderungen vollumfänglich zu entsprechen.
Historie der Ausnahmegenehmigung und Boeings Begründung für den Rückzug
Die Federal Aviation Administration reagierte im September 2023 positiv auf Boeings ursprünglichen Antrag und erteilte eine Ausnahmegenehmigung für das SMYD-System der 737 Max 7 bis zum 1. März 2027. Während des Antragsverfahrens argumentierte Boeing, daß die SMYD-Einheit modellspezifische Aktualisierungen für die Strömungsabrißwarnung, den Strömungsabriß-Identifizierungsplan, den Gierdämpferfilter und -plan sowie die Verstärkungspläne benötigte. Boeing betonte, daß das neuere SMYD-System der 737 Max 7 auf derselben Software basierte, die auch in den SMYDs der 737 Next Generation (NG) und den bereits zertifizierten 737 Max 8 und 737 Max 9 Modellen verwendet wird. Der Hersteller hob hervor, daß das „SMYD-Hardware-Design seit der NG unverändert geblieben ist“.
Dennoch wären zusätzliche Zertifizierungsaktivitäten erforderlich gewesen. Boeing schlug daher vor, die neue SMYD-Software zusammen mit dem Projekt zur geänderten Musterzulassung (Amended Type Certificate, ATC) der 737 Max 10 zu zertifizieren. Die FAA stimmte zu, daß die Hardware der Einheit identisch sei, jedoch die neueren und älteren SMYDs minimale Softwareunterschiede aufweisen. Die Behörde befand damals, daß die „Installation des neueren [SMYD] sicherer und effizienter wäre als die Verwendung der früheren Version“.
Am 9. Juni 2025, in einer kurzen Ergänzung zu seinem ursprünglichen Antrag vom Juni 2023, erklärte Boeing nun, daß es die entsprechenden Petitionen für eine Ausnahmegenehmigung für die 737 Max 7 und die SMYD-Software zurückgenommen habe. Der Flugzeughersteller begründete dies damit, daß die beantragte Erleichterung nicht mehr notwendig sei, da das Unternehmen die vollständige Einhaltung der anwendbaren Vorschriften nachweisen werde. Diese Erklärung impliziert, daß Boeing in der Zwischenzeit die notwendigen Anpassungen an der SMYD-Software vorgenommen hat, um die geforderten Normen bezüglich Blitzeinschlag- und HIRF-Widerstandsfähigkeit ohne weitere Ausnahmegenehmigung zu erfüllen.
Weitere SMYD-Ausnahmegesuche und Bedenken der Interessengruppen
Der zurückgezogene Antrag für die 737 Max 7 war jedoch nicht der einzige SMYD-Ausnahmegesuch, den Boeing in den letzten Jahren gestellt hat. Im Januar 2025 bat das Unternehmen die FAA um eine weitere Ausnahme für das System von zwei CFR-Teilen. Boeing argumentierte, daß die neuen SMYD- und/oder Nicht-Enhanced AOA (EAOA)- und EAOA-Systeme an allen 737 Max-Flugzeugen spezifische Vorschriften nicht erfüllten. Das EAOA-System ist eine Sicherheitsfunktion, die die „Systemintegrität verbessert und die Arbeitsbelastung der Flugbesatzung im Falle von Luftdaten- und Anstellwinkelfehlern reduziert“. Diese Fehler waren bei beiden tödlichen Abstürzen der 737 Max 8 im Oktober 2018 und März 2019 aufgetreten und führten dazu, daß Boeing sich bereit erklärte, das System zur Verbesserung der Sicherheit des Typs zu entwickeln.
Historisch gesehen wurde das SMYD gemäß den Richtlinien der Radio Technical Commission for Aeronautics (RTCA) auf „Level B“ zertifiziert. Die Entwicklung der SMYD-Software für die 737 Max 7 führte jedoch dazu, daß der Hersteller und die FAA feststellten, daß das System gemäß „Design Assurance Level A (DAL A)“ der ARP4754A („Guidelines for Development of Civil Aircraft and Systems“) zertifiziert werden sollte. Boeing räumte ein, daß das SMYD die DAL A-Anforderungen bei den 737 Max 7, 737 Max 10 und den EAOA/Nicht-EAOA-Zertifizierungsprojekten nicht erfüllt. Der Flugzeughersteller schlug vor, das System erst nach der Zertifizierung der 737 Max 7 und 737 Max 10 sowie der EAOA- und Nicht-EAOA-Systeme gemäß DAL A zu zertifizieren.
Dieser jüngste Ausnahmegesuch, auf den die FAA noch nicht reagiert hat, stieß auf negative Reaktionen von mehreren Interessengruppen. Die „Foundation for Aviation Safety“ erklärte, daß weder die 737 Max 7 noch die 737 Max 10 die vorgeschriebenen technischen Standards erfüllten, und flehte die FAA an, darauf zu bestehen, daß Boeing das SMYD in Einklang bringt, bevor die beiden Modelle an Kunden ausgeliefert werden. Die „Air Line Pilots Association, International (ALPA)“ kommentierte, daß das SMYD in seinem derzeitigen Zustand die DAL A-Anforderungen nicht erfülle, was die „Fähigkeit des Flugzeugs oder die Fähigkeit der Besatzung, mit widrigen Betriebsbedingungen fertig zu werden, auf ein unwahrscheinliches […], ein stark reduziertes Niveau“ mindern würde. Die Entscheidung Boeings, den früheren Antrag für die 737 Max 7 zurückzuziehen, könnte somit als Reaktion auf diese kritischen Stimmen und als Bemühung des Herstellers gewertet werden, alle verbleibenden Sicherheitsbedenken proaktiv anzugehen und den vollen regulatorischen Standards zu entsprechen, um die vollständige Zertifizierung der verbleibenden Max-Varianten zu beschleunigen.