Vor einigen Jahren sorgten Gerüchte, dass Tuifly mit der damaligen Air-Berlin-Tochter Niki fusionieren soll, für außergewöhnlich viele Krankenstände bei der Airline aus Hannover. So viele, dass der Flugbetrieb fast zum Erliegen gekommen ist. Von einem “wilden Streik” war gar die Rede. Steckt womöglich hinter den vielen Krankmeldungen bei Lufthansa weit mehr als nur Jahreszeit und Omikron?
Kurz vor Weihnachten 2021 haben sich bei Deutschlands größter Fluggesellschaft viele Piloten krankgemeldet. Die Anzahl der ärztlich attestiert arbeitsunfähigen Flugzeugführer ist momentan so hoch, dass zahlreiche Verbindungen gestrichen werden mussten. Der Kranich-Konzern ist gar auf der Suche nach “Ersatz-Piloten”, die temporär einspringen können. Auffällig: Gerade die A330/A340-Teilflotte ist von besonders vielen Krankenständen betroffen.
Innerhalb von Lufthansa wird nun den erkrankten Flugzeugführern unterstellt, dass diese nach dem Vorbild des “wilden Streiks” bei Tuifly, der am 7. Oktober 2016 zum fast vollständigen Stillstand der Ferienfluggesellschaft führte, sich einfach haben krankschreiben lassen. Sozusagen als eine Form des Protests gegen die Kündigung des Perspektivenvertrags als “wilder Streik”. Die Gewerkschaften lehnen dazu jeglichen Kommentar ab.
Das Klima zwischen der Arbeitnehmervertretung der Flugzeugführer, Vereinigung Cockpit, und dem Kranich-Vorstand ist momentan stark angespannt. Zuerst kündigte der Arbeitgeber die so genannte Perspektivvereinbarung auf. Dies wurde von der VC scharf kritisiert und im Gegenzug kündigte man den Tarifvertrag auf.
Europa-Geschäft könnte auf Töchter verlagert werden
Der Lufthansa-Vorstand will die Kosten senken und stellt nun gar das Europa-Geschäft der Mainline in Frage. Dieses könnte fast gänzlich an Töchter wie Eurowings, Eurowings Discover, Air Dolomiti oder Lufthansa Cityline abgegeben werden. Die beiden zuletzt genannten Fluggesellschaften führen bereits heute einen nicht unerheblichen Teil der Kranich-Flüge ab München und Frankfurt am Main durch. Diverse Verträge mit den Gewerkschaften führen aber dazu, dass man – abgesehen von der Jump-A340-Operation – im Regelfall nur Regionalverkehrsflugzeuge im Portfolio hat.
Eurowings Discover gilt überhaupt als großer Liebling der Konzernführung, denn diese Tochtergesellschaft hat bislang keine Tarifverträge. Arbeitnehmervertreter kritisieren, die im Vergleich mit Konzerntarifvertrags-Airlines deutlich niedrigere Bezahlung. Die Voraussetzungen für ein starkes Wachstum von EW Discover wurden bereits geschaffen, denn beispielsweise stammt die A320-Teilflotte komplett von der Mainline.
Aus Aviation.Direct vorliegenden Dokumenten geht hevor, dass Lufthansa den Druck auf die Gewerkschaften erhöht und besonders von den Piloten starke Kostensenkungen fordert. Gemeint ist damit natürlich, dass die Löhne gesenkt werden sollen. Die Drohung: Lufthansa könnte derartig umgebaut werden, dass künftig nur noch die Langstreckenflüge in Eigenregie durchgeführt werden. Die Kurz- und Mittelstrecke würde man dann im Rahmen konzerninterner “Wetleases” einkaufen. Dabei kommen dann wieder die im vorherigen Absatz beschriebenen Tochtergesellschaften ins Spiel.
Lufthansa kann bzw. will die mit der Vereinigung Cockpit im Rahmen der Perspektivvereinbarung geschlossenen Ziele nicht mehr einhalten. Man will die Kosten senken und würde andernfalls den Kontinentalbereich verkleinern oder im Extremfall gar gänzlich auflösen und an Töchter subvergeben. Damit ist eine ordentliche Ansage an die Arbeitnehmervertreter gemacht, denn zumindest in der Theorie kann auf der Kurz- und Mittelstrecke dann das “Modell Ryanair” kopiert werden.
Ryanair macht „Kosteneinsparen“ mit Hilfe diverser Töchter bereits vor
Ryanair fliegt seit einiger Zeit nicht mehr jeden Flug selbst mit der irischen Ryanair DAC. In Polen (Buzz), Malta (Lauda Europe und Malta Air) und im Vereinigten Königreich (Ryanair UK) wurden Töchter aufgezogen, die konzernintern um Flugaufträge der Ryanair DAC buhlen müssen. In der sprichwörtlich gemütlichen Position ist der UK-Ableger, denn aus rechtlichen Gründen müssen manche Strecken von dieser bedient werden. Ryanair DAC, Lauda Europe, Buzz und Malta Air stehen untereinander im scharfen Wettbewerb und wer billiger produzieren kann, darf fliegen. Ein Nebeneffekt ist auch, dass wenn ein Flugbetrieb “gewerkschaftlich verseucht” ist, dass die Basis dann dicht gemacht wird und eine Konzernschwester übernimmt nahtlos, jedoch muss sich das Personal neu bewerben. In Prag, Budapest und Bratislava kam es bei der Umstellung von Ryanair DAC auf Buzz auch zu niedrigeren Löhnen. Gleichzeitig ermöglicht diese Vorgehensweise auch das Aussortieren von unliebsamen bzw. aufmüpfigen Mitarbeitern. Wer seinen Job behalten will, muss spuren und auch für weniger Geld arbeiten.
Lufthansa hat bereits viele Töchter mit eigenem AOC und kann diese nach dem Vorbild Ryanair gezielt zur Senkung der Kosten einsetzen. Wenn dann eine “Plattform” zu teuer wird, schreibt man konzernintern neu aus und schon entsteht Druck auf das Personal. Diese nicht nur mögliche, sondern deutlich im Raum stehende Entwicklung, bereitet den Arbeitnehmervertretern durchaus Kopfzerbrechen. Sofern am Verhandlungstisch kein Kompromiss gefunden werden kann, ist nicht auszuschließen, dass mit Arbeitskampfmaßnahmen bis hin zu Streiks reagiert wird.
Nachweisen kann es niemand, denn es gilt ärztliche Schweigepflicht, jedoch wäre es nicht von der Hand zu weisen, dass sich der eine oder andere Lufthansa-Pilot angesichts derartiger Aussichten durchaus nicht flugfähig fühlt. In der Luftfahrt gilt ein Grundsatz, der leider bei immer mehr Anbietern sprichwörtlich mit Füßen getreten wird: Wer sich – egal ob psychisch oder physisch – nicht wohl fühlt, soll am Boden bleiben. Safety First.
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