Minsk-Vorfall: Warum so schweigsam, Ryanair?

Minsk-Vorfall: Warum so schweigsam, Ryanair?

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Über Ryanair-Flug FR4978 wird wohl noch längere Zeit auf diplomatischer Ebene diskutiert werden, denn westliche Politiker werfen der Regierung von Weißrussland vor, dass die von Buzz betriebene Boeing 737-800 entführt wurde. Um genau zu sein: Von einer “staatlichen Flugzeugentführung” ist die Rede.

Was sich am Sonntag abgespielt hat, wäre in dieser Form wohl auch Drehbuch-Autoren in Hollywood nicht so einfach eingefallen. Die SP-RSM von Buzz befand sich im Auftrag von Ryanair auf dem Weg von Athen nach Vilnius. Einige Minuten vor dem Verlassen des Luftraums Weißrusslands wurde über den Transponder ein Notfall gemeldet. Kampfjets stiegen auf und eskortierten die Boeing 737-800 zur Landung in Minsk. Angeblich soll den Buzz-Flugzeugführern über den Funk gar mit dem Abschuss der Maschine gedroht worden sein.

Nach der Landung kam es zur Verhaftung einer Person, die das Lukaschenko-Regime schon länger auf der Fahnungsliste hatte. Vorgeschoben wurde für die ganze Aktion übrigens eine Bombendrohung. Daher wurden Gepäck und Handgepäck auf dem Vorfeld untersucht und nach einigen Stunden konnten die SP-RSM samt Passagieren, abgesehen von den Verhafteten, die weißrussische Hauptstadt wieder verlassen.

Wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Belarus mutmaßlich Agenten in die Maschine einschleusen konnte, die unbestätigten Informationen nach sogar bewaffnet gewesen sein sollen, ist rätselhaft. Das Verhalten von Ryanair und Buzz im Nachgang des Vorfalls ist jedoch ebenso bedenklich.

Der Konzern, der sich selbst als “Europas beliebteste Airline” tituliert, macht keinerlei offizielle Angaben zur Anzahl der Reisenden, die sich an Bord befanden und besonders wie viele MInsk wieder verlassen konnten. Ryanair fliegt Weißrussland linienmäßig ohnehin nicht an und hätte rein gar nichts zu verlieren, wenn die Karten auf den Tisch gelegt werden und die Sichtweise des Vorfalls dargestellt wird. Ganz im Gegenteil: Aufgrund der hollywoodreifen Aktion des Lukaschenko-Regimes könnte sich der Konzern im Westen sogar Pluspunkte sammeln.

Nichtssagendes Statement von Ryanair

Könnte, denn Ryanair verschickt auf Anfrage nur ein klammes Statement, das unten einkopiert ist, und bei hartnäckigen Nachfragen verweist man auf die Tochtergesellschaft Buzz, die sich ebenfalls wortkarg zeigt und lediglich die komplett wortgleiche Stellungnahme verschickt, wenn überhaupt. Was hat Ryanair zu verbergen? Immerhin handelt es sich um einen Vorfall, der rote Linien in der Zivilluftfahrt überschritten hat und schwere diplomatische Konsequenzen haben könnte. Statt Klartext zu reden, hüllt sich der Lowcoster in Schweigen und gibt damit den Eindruck, dass man einfach so zur Tagesordnung übergehen kann.

Offizielle Stellungnahme von Ryanair zum Vorfall vom 23. Mai 2021.

Rückblick: Dass Krisenkommunikation auch gänzlich anders geht und sich die Firmenchefs vor die versammelte Presse stellen und damit sowohl Angehörigen als auch dem Personal Respekt zollen, zeigten Lufthansa und Germanwings vor einigen Jahren. Freilich wusste damals noch niemand warum die Germanwings-Maschine wirklich abgestürzt ist, doch Kommunikation ist in solchen Momenten wichtig. Der Vergleich hinkt ein wenig, denn es war kein Absturz in Minsk, aber eine mutmaßliche Entführung, über die der Ryanair-Konzern nicht schweigen sollte, sondern der Öffentlichkeit möglichst viele Informationen geben sollte. Michael O’Leary ist ansonsten sehr gesprächig, sprach in Radio-Interviews aber nur von Piraterie, die er zutiefst verurteilt. Er spricht von einer staatlichen Flugzeugentführung und geht davon aus, dass Agenten des Geheimdienstes KGB an Bord waren.

Belarus ist sich keiner Schuld bewusst

Weißrussland kann die Kritik aus dem Westen nicht nachvollziehen und spielt den Vorfall herunter. In offiziellen Stellungnahmen ist die Rede davon, dass man entsprechend der internationalen Vorschriften gehandelt habe. Man entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten und bittet um Verständnis.

Als erste Fluggesellschaften haben Air Baltic und Wizz Air angekündigt, dass der weißrussische Luftraum ab sofort umflogen wird. Immer mehr Airlines wollen Belarus weder überfliegen noch die dortigen Airports anfliegen. Zumindest bis zur vollständigen Aufklärung was am Sonntag wirklich passiert ist. Ryanair sollte hier seinen Beitrag leisten und so viele Informationen wie möglich auf den Tisch legen, um auch für Vertrauen bei Fluggästen sorgen zu können.

2 Comments

  • Manfred Pamer , 25. Mai 2021 @ 10:09

    Einige Minuten vor dem Verlassen des Luftraums der Ukraine…
    Bravo, Herr Leitender Redakteur und Spezialist für tiefgehende Recherchen… zumindest lt. Impressum !

    • Jan Gruber , 25. Mai 2021 @ 10:16

      Der Fehler wurde korrigiert. Danke für den Hinweis.

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  • Manfred Pamer , 25. Mai 2021 @ 10:09

    Einige Minuten vor dem Verlassen des Luftraums der Ukraine…
    Bravo, Herr Leitender Redakteur und Spezialist für tiefgehende Recherchen… zumindest lt. Impressum !

    • Jan Gruber , 25. Mai 2021 @ 10:16

      Der Fehler wurde korrigiert. Danke für den Hinweis.

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