Boeing, einer der weltweit größten Flugzeughersteller, steht in einer tiefgreifenden Krise. Das Unternehmen hat angekündigt, etwa 10 % seiner Belegschaft zu entlassen und die Auslieferung des lang erwarteten 777X-Jets auf 2026 zu verschieben.
Diese Entwicklungen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem Boeing bereits durch einen anhaltenden Streik von 33.000 Beschäftigten an der US-Westküste stark belastet ist. CEO Kelly Ortberg warnte in einer internen Mitteilung am 11. Oktober 2024, daß das Unternehmen sich in einer „schwierigen Lage“ befinde und strukturelle Veränderungen notwendig seien, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Massive Verluste und Zukunftssorgen
Die finanzielle Lage von Boeing hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Für das Jahr 2024 prognostiziert der Konzern einen Verlust von 10 Milliarden US-Dollar, was die Herausforderungen in der Luftfahrtindustrie unterstreicht. Die Verspätung bei der Auslieferung des 777X, des größten und effizientesten zweistrahligen Jets der Welt, verschärft die Probleme weiter. Ursprünglich war die Markteinführung für 2020 geplant, doch technische Probleme, Zertifizierungsfragen und die COVID-19-Pandemie haben den Zeitplan immer wieder verzögert. Emirates, einer der Hauptkunden des Jets, zeigte sich bereits enttäuscht über die fortgesetzten Verzögerungen und äußerte Hoffnungen, die erste Version der B777-9 bis Oktober 2025 zu erhalten. Nun scheint auch dieses Ziel nicht mehr realistisch.
Die 777X gilt als zentraler Bestandteil von Boeings Strategie, da sie durch ihren geringeren Treibstoffverbrauch und größere Reichweite langfristig Wettbewerbsvorteile gegenüber Modellen wie dem A350 von Airbus bieten soll. Doch durch die ständigen Verzögerungen gerät das Unternehmen unter Druck, den Erwartungen der Kunden gerecht zu werden und gleichzeitig seine eigene Produktion aufrechtzuerhalten.
Streik der Beschäftigten verschärft die Lage
Zusätzlich zu den operativen und finanziellen Problemen sieht sich Boeing mit einem großangelegten Streik konfrontiert. 33.000 Beschäftigte der International Association of Machinists and Aerospace Workers (IAM) befinden sich seit über einem Monat im Arbeitskampf. Sie werfen dem Management vor, die Interessen der Belegschaft zu ignorieren und schlechte Entscheidungen zu treffen, die letztlich zur aktuellen Krise geführt hätten. Die IAM betonte, daß die Beschäftigten nicht die Verantwortung für die entstandene Situation tragen würden und der Streik das Ergebnis von Managementfehlern sei.
In einer Reaktion auf die jüngsten Ankündigungen von Boeing erklärte die Gewerkschaft, daß die Lösung der Probleme in den Händen des Unternehmens liege und es an Boeing sei, den Streik zu beenden. Gleichzeitig zeigte sich die IAM bereit, Verhandlungen jederzeit wieder aufzunehmen, um eine Einigung zu erzielen. Boeing hingegen hatte bei der Nationalen Arbeitsbeziehungsbehörde (NLRB) eine Beschwerde wegen unlauterer Arbeitspraktiken eingereicht und der Gewerkschaft vorgeworfen, in böser Absicht zu verhandeln.
Einstellungsstopp und Entlassungen
Vor dem Hintergrund dieser finanziellen und operativen Herausforderungen plant Boeing zudem, in den kommenden Monaten etwa 17.000 Stellen zu streichen, was rund 10 % der Belegschaft entspricht. Diese Kürzungen betreffen sowohl Führungskräfte und Manager als auch reguläre Mitarbeiter. Ortberg erklärte, daß diese Entscheidung unvermeidlich sei, um das Unternehmen zu stabilisieren und auf eine nachhaltige Zukunft vorzubereiten.
Der Stellenabbau ist jedoch nicht das einzige drastische Maßnahmenpaket, das Boeing geschnürt hat. Das Unternehmen gab auch bekannt, daß die Produktion des Frachtflugzeugs 767 früher als geplant eingestellt werde. Damit endet eine über 40 Jahre andauernde Erfolgsgeschichte dieses Modells. Die Produktion des militärischen Tankflugzeugs KC-46A Pegasus, das auf der 767 basiert, wird jedoch fortgesetzt. Die Entscheidung zur Einstellung der 767-Frachtversion wird als Teil der größeren strategischen Neuausrichtung von Boeing gesehen, um die Kosten zu senken und die Konzentration auf zukünftige Projekte zu lenken.
Verteidigungs- und Raumfahrtsparte unter Druck
Auch bei der Verteidigungs- und Raumfahrtsparte Boeing Defense and Space (BDS) laufen die Dinge nicht besser. Für das dritte Quartal 2024 erwartet das Unternehmen „erhebliche neue Verluste“. Grund hierfür seien unter anderem die durch den Streik verursachten Verzögerungen bei kommerziellen Derivaten sowie Programmherausforderungen im Zusammenhang mit der Entscheidung, die Produktion der 767-Frachter zu beenden. Diese Sparte ist von großer Bedeutung für Boeing, da sie neben der zivilen Luftfahrt eine wichtige Einnahmequelle darstellt, insbesondere durch Regierungsverträge und militärische Projekte.
Was bedeutet das für die Zukunft von Boeing?
Die angekündigten Maßnahmen und der aktuelle Streik verdeutlichen, daß Boeing sich in einer existenziellen Krise befindet. Während der Flugzeughersteller in der Vergangenheit immer wieder Herausforderungen meistern konnte – etwa durch die Entwicklung von Schlüsselmodellen wie der 747 oder der 737 –, steht das Unternehmen nun vor einem tiefgreifenden Umbruch. Die Verzögerungen beim 777X-Projekt, die Produktionsstopps und die anhaltenden Arbeitskämpfe belasten den Konzern schwer.
Um die Zukunft zu sichern, wird Boeing nicht nur harte Entscheidungen treffen müssen, sondern auch Vertrauen bei Kunden und Mitarbeitern zurückgewinnen müssen. Ein Ende des Streiks könnte ein erster Schritt sein, um Stabilität in das Unternehmen zu bringen. Doch die Herausforderungen, insbesondere in der Produktion und bei der Kostensenkung, bleiben enorm.