Die Diskussion um kostenpflichtiges Handgepäck bei Flugreisen erreicht einen neuen Höhepunkt: Das Europäische Parlament und verschiedene Verbraucherschutzorganisationen drängen auf eine verbindliche Gesetzgebung, die Fluggesellschaften dazu verpflichten soll, ein kleines Handgepäckstück stets kostenfrei zu befördern.
Im Lichte dieser Forderungen hat die irische Billigfluggesellschaft Ryanair angekündigt, ihre Bestimmungen für kostenfrei mitgeführtes Handgepäck anzupassen. Künftig sollen Passagieren etwas großzügigere Maße zugestanden werden, ein Schritt, der von Branchenbeobachtern als Reaktion auf den zunehmenden politischen und verbraucherschutzrechtlichen Druck gewertet wird. Die Frage nach einheitlichen und fairen Gepäckregeln bleibt ein zentrales Thema für Millionen von Flugreisenden in Europa.
Der Druck aus Brüssel: Eine lange Debatte um Gepäckgebühren
Die Praxis vieler Fluggesellschaften, insbesondere der sogenannten Billigflieger, für die Mitnahme von Handgepäck zusätzliche Gebühren zu verlangen, ist seit Jahren ein Dorn im Auge vieler Verbraucher und politischer Entscheidungsträger. Während traditionelle Fluggesellschaften oft ein kleines Handgepäckstück – und manchmal sogar einen kleinen Rollkoffer – im Flugpreis inkludieren, haben Airlines wie Ryanair oder Wizz Air oft nur ein sehr kleines persönliches Gepäckstück (oft eine Handtasche oder einen kleinen Rucksack) kostenfrei zugelassen, das unter den Vordersitz passen mußte. Größere Handgepäckstücke oder Rollkoffer, die in die Gepäckfächer über den Sitzen passen würden, waren in der Regel nur gegen Aufpreis erhältlich.
Diese Praxis führte zu intransparenten Preisen und Verwirrung bei den Reisenden, die oft erst am Flughafen mit unerwarteten Zusatzkosten konfrontiert wurden. Im Jahre 2014 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits entschieden, daß für Handgepäck keine zusätzliche Gebühr erhoben werden darf, sofern es „angemessenen Vorgaben“ hinsichtlich Größe und Gewicht entspricht. Trotz dieses Urteils blieben konkrete EU-weite Standards für diese „angemessenen Vorgaben“ aus, was den Fluggesellschaften Spielraum für unterschiedliche Auslegungen ließ.
Nun scheint sich dies zu ändern. Der Ausschuss für Verkehr und Tourismus des Europäischen Parlamentes hat kürzlich in einer nicht-öffentlichen Sitzung über die Abschaffung von Handgepäckzuschlägen abgestimmt und sich für das Recht der Passagiere auf kostenloses Handgepäck ausgesprochen. Die Abgeordneten fordern, daß Fluggäste künftig das Recht auf zwei kleine Gepäckstücke ohne Zusatzgebühr haben sollen: ein kleines persönliches Gepäckstück wie eine Handtasche oder einen Laptop (Maximalmaße von 40x30x15 cm) und zusätzlich einen kleinen Koffer (maximal 46 cm hoch, wobei alle drei Kantenmaße addiert maximal 100 cm lang sein sollen). Diese Forderungen gehen über die bisherigen Praktiken vieler Billigfluggesellschaften hinaus.
Verbraucherschutzorganisationen, darunter der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Deutschland und der europäische Verband BEUC, haben sich aktiv in diese Debatte eingebracht. BEUC hat bei der Europäischen Kommission offiziell Beschwerde gegen sieben Fluggesellschaften, darunter Ryanair, EasyJet und Wizz Air, eingelegt. Sie bezeichnen die Praktiken als „Ausbeutung“ der Fluggäste, da die Gebühren für Handgepäck zwischen sechs und 75 Euro liegen könnten. Agustin Reyna, Generaldirektor von BEUC, äußerte sein Unverständnis darüber, wie Reisende für eine zwei- bis dreitägige Reise alles in eine kleine Tasche packen sollen, die unter den Vordersitz paßt.
Ryanairs Reaktion: Eine moderate Lockerung der Regeln
Angesichts des wachsenden Drucks aus Brüssel hat Ryanair, Europas größter Billigflieger, eine Anpassung seiner Handgepäckbestimmungen angekündigt. Laut Berichten, die von der Airline gegenüber Bloomberg bestätigt wurden, will Ryanair Passagieren künftig etwas mehr Spielraum bei den Maßen für ein kostenfrei mitgeführtes Gepäckstück lassen. Die Abmessungen für das sogenannte „persönliche Gepäckstück“, das unter den Vordersitz passen muß, sollen von den bisherigen 40x25x20 Zentimetern auf 40x30x20 Zentimeter erweitert werden. Dies entspricht einer Erhöhung des Volumens von 20 auf 24 Liter und bietet den Reisenden etwas mehr Platz für persönliche Gegenstände.
Diese Änderung wird voraussichtlich in den kommenden Wochen umgesetzt, da auch die Gepäcklehren an den Flughäfen angepaßt werden müssen. Die Entscheidung von Ryanair, die Abmessungen geringfügig zu erhöhen, wird von Branchenbeobachtern als strategischer Schritt interpretiert. Zum einen könnte dies als Entgegenkommen gegenüber den Forderungen des EU-Parlamentes und der Verbraucherschützer gewertet werden. Zum anderen positioniert sich Ryanair damit leicht oberhalb eines von den europäischen Fluggesellschaften (im Verband Airlines for Europe, A4E, organisiert) diskutierten Minimumstandards von 40x30x15 cm. Dies könnte der Airline helfen, die Forderung nach einem zweiten, größeren Handgepäckstück abzuwehren, die Ryanair, EasyJet und Wizz Air als „nicht umsetzbar“ bezeichnen.
Die Airlines argumentieren, daß eine verpflichtende Mitnahme von zwei Gepäckstücken pro Passagier die Ticketpreise erhöhen und die Wahlfreiheit der Verbraucher einschränken würde. Die Frage der Kosten ist dabei ein zentraler Punkt: Während Verbraucherschützer argumentieren, daß Handgepäck keine zusätzlichen Kosten für die Airlines verursache, da es nicht extra verladen werden müsse und die Haftung während des Fluges beim Passagier liege, sehen Fluggesellschaften in den Gebühren eine wichtige Einnahmequelle. Schätzungen zufolge erzielt Ryanair jährliche Gepäckeinnahmen in Milliardenhöhe.
Zukunft der Handgepäckregeln: Einheitliche Standards in Sicht?
Die Debatte um das Handgepäck ist Teil einer umfassenderen Diskussion über die Rechte von Flugreisenden in der Europäischen Union. Das EU-Parlament drängt auch auf neue Regelungen bei Entschädigungszahlungen für Verspätungen und Annullierungen, wobei die EU-Staaten im Ministerrat zuletzt für längere Fristen plädierten, bevor Entschädigungen fällig werden. Dies zeigt die komplexen Interessenskonflikte zwischen Airlines, Konsumenten und Gesetzgebern.
Das Ziel der Parlamentarier ist es, für mehr Transparenz und Preisvergleichbarkeit zu sorgen und die Rechtssicherheit für Reisende zu erhöhen. Bislang gibt es ein Flickenteppich an Regelungen, bei denen jede Airline ihr eigenes Süppchen kocht. Dies führt dazu, daß Reisende oft vor der Buchung die genauen Gepäckbestimmungen verschiedener Airlines mühsam vergleichen müssen, um versteckte Kosten zu vermeiden. Eine EU-weite Standardisierung könnte diese Unsicherheit beseitigen.
Ob und wann die vorgeschlagenen neuen Regeln für kostenloses Handgepäck tatsächlich in Kraft treten, ist jedoch noch unklar. Bevor dies geschehen kann, muß ein Kompromiss zwischen dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten gefunden werden. Die Verhandlungen dürften schwierig werden, da die Positionen der Airlines und einiger Mitgliedstaaten weit auseinanderliegen. Beobachter rechnen frühestens zur Jahreswende mit einer möglichen Einigung zu den Fluggastrechten.
Ungeachtet der politischen Entwicklungen zeigt die Anpassung der Ryanair-Regeln, daß der Druck der Verbraucher und der EU-Behörden Wirkung zeigt. Auch wenn die nun angekündigten Änderungen nur moderat sind, könnten sie ein erster Schritt hin zu kundenfreundlicheren Gepäckrichtlinien sein. Es bleibt abzuwarten, ob andere Billigfluggesellschaften diesem Beispiel folgen oder ob die EU-Gesetzgebung letztendlich die Airlines zu umfassenderen Anpassungen zwingen wird.
Ein kleiner Schritt, aber noch kein Durchbruch
Die jüngsten Entwicklungen in der Handgepäckdebatte sind ein Zeichen dafür, daß sich die Regeln für Flugreisende in Europa möglicherweise ändern werden. Ryanairs Bereitschaft, die Abmessungen des kostenfreien Handgepäcks leicht zu erhöhen, ist ein kleiner Schritt in Richtung größerer Flexibilität für Passagiere.
Doch der eigentliche Durchbruch – eine EU-weite, verbindliche Regelung für ein substanzielles kostenloses Handgepäckstück – steht noch aus. Die Positionen von Fluggesellschaften und Gesetzgebern bleiben kontrovers, und die Verhandlungen über die zukünftigen Fluggastrechte versprechen spannend zu bleiben. Für Millionen von Reisenden ist die Hoffnung groß, daß die Zeiten der undurchsichtigen Zusatzgebühren bald der Vergangenheit angehören werden.