Mit dem Ende des Schuljahres und dem Beginn der lang ersehnten Sommerferien entbrennt alljährlich die Debatte um die Länge der unterrichtsfreien Zeit und das vermeintliche „Sommervergessen“. Doch Fachleute, wie Isabella Ecker, Fachbereichsleitung für Kinder, Jugend und Familie beim Hilfswerk Österreich, betonen, daß schlechte Noten kein Drama seien und die Sommerpause nicht das große Vergessen heraufbeschwöre.
Vielmehr seien Pausen für die geistige und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unverzichtbar. Das Gehirn müsse sich nach intensiver Anstrengung entspannen, gleich einem Muskel. Richtig genutzte Ferien, die Raum für Erholung und anregende Freizeitaktivitäten bieten, könnten nicht nur die Erholung fördern, sondern sogar manche Fähigkeiten stabilisieren und den Schul-Neustart im Herbst erleichtern.
Die unverzichtbare Rolle der Pause für Entwicklung und Lernprozesse
Die gesellschaftliche Diskussion über die Sommerferien ist oft von der Sorge geprägt, daß Kinder und Jugendliche während der langen unterrichtsfreien Zeit Gelerntes vergessen könnten. Doch Psychologen und Pädagogen weisen darauf hin, daß diese Annahme die tiefere Bedeutung von Pausen verkennt. Isabella Ecker vom Hilfswerk Österreich erklärt unmißverständlich: „Für die geistige und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind Pausen unverzichtbar. Wie ein Muskel muß sich auch das Gehirn nach intensiver Anstrengung entspannen.“ Diese Metapher verdeutlicht, daß kontinuierliche Beanspruchung ohne Erholungsphasen zu Überlastung und geringerer Leistungsfähigkeit führt. Für das Gehirn bedeutet dies, daß es Zeit benötigt, um Informationen zu verarbeiten, zu konsolidieren und sich für neue Inhalte bereit zu machen.
Die erste Hälfte der Sommerferien sollte laut Ecker daher uneingeschränkt der Erholung dienen. Dies bedeutet Zeit für Entspannung, viel Bewegung in der Natur, Familienaktivitäten und all jene Interessen und Hobbys, die während des straffen Schuljahres oft zu kurz kommen. Dies kann das Eintauchen in Bücherwelten, das Ausprobieren neuer Sportarten oder einfach das ungestörte Spiel im Freien sein. Diese freie Entfaltung ist nicht nur für das körperliche Wohlbefinden wichtig, sondern auch für die psychische Gesundheit und die Entwicklung einer ausgewogenen Persönlichkeit.
Kreatives Denken statt „Sommervergessen“: Die Vielschichtigkeit des Lernens
Das vielzitierte Phänomen des „Sommervergessens“, also der Verlust von Lerninhalten während der Ferien, sei laut Hilfswerk-Expertin Ecker weniger fatal, als oft heraufbeschworen. Zwar gebe es einen gewissen Verlust an Gelerntem, doch die lange Pause fördere gleichzeitig andere wichtige kognitive Fähigkeiten, allen voran das kreative Denken. Die Studienlage dazu sei vielschichtig. Ecker betont: „Natürlich vergessen Kinder und Jugendliche über den Sommer einiges. Durch anregende Freizeitaktivitäten stabilisieren sich aber manche Fähigkeiten sogar.“
Hierbei spiele die intrinsische Motivation eine entscheidende Rolle. Wenn Kinder und Jugendliche aus eigenem Antrieb lesen, verbessern sie ihre Lesekompetenz. Beim Kochen oder Handwerken werden mathematische Fähigkeiten ganz nebenbei gefördert, ohne daß es als schulische Aufgabe empfunden wird. „Aus intrinsischer Motivation zu lernen, ist deutlich nachhaltiger“, so Ecker. Dies bedeutet, daß Wissen, welches durch persönliche Neugier und Freude erworben wird, oft tiefer verankert ist und besser abrufbar bleibt als Inhalte, die unter Druck oder Zwang gelernt werden. Die Ferien bieten eine einzigartige Gelegenheit für diese Art des „Anders Lernens“, abseits von Lehrplänen und Leistungsdruck.
Das Konzept des „Sommervergessens“ wurde in der Vergangenheit oft überbetont, insbesondere in Ländern mit langen Sommerferien. Neuere Forschungsergebnisse zeigen jedoch, daß der Verlust an akademischen Fähigkeiten oft nicht so drastisch ist wie angenommen und durch außerschulische Aktivitäten kompensiert werden kann. Vielmehr ist die Förderung von Kreativität, Problemlösungskompetenz und sozialen Fähigkeiten, die in einer entspannten Ferienatmosphäre gedeihen, für die Gesamtentwicklung der Kinder von unschätzbarem Wert.
Neugier als Motor und die Notwendigkeit von Ausgleich
Die natürliche Neugier der Kinder wird von Isabella Ecker als der wahre Motor des Lernens bezeichnet. Schon im Kleinkindalter versuchen Kinder, die Welt durch Fragen zu verstehen und Beziehungen zwischen Dingen zu erkennen, sei es auf Reisen oder vor der Haustüre. „Fragen entspringen der Neugier – dem wahren Motor des Lernens“, erklärt Ecker. In den Ferien, ohne den starren Rahmen des Stundenplans, können Kinder und Jugendliche ihren Interessen vertiefen und womöglich neue Talente entdecken. Ecker hebt hervor: „Lernen findet eben nicht nur in der Schule statt.“ Dies ist eine wichtige Botschaft, die Eltern ermutigen soll, ihren Kindern Freiräume für eigene Entdeckungen und ungesteuerte Lernprozesse zu lassen.
Die Betonung der Pausen und freier Zeit ist auch eine Reaktion auf den steigenden Druck, dem Schüler in den letzten Jahren ausgesetzt waren. Zahlreiche Studien belegen, daß Schüler immer stärker unter Stress stehen, Freizeit zu Mangelware wird und psychische Auswirkungen durch den Schulstress immer deutlicher werden. Ecker gibt zu bedenken: „Es gab in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien, die belegten, daß Schülerinnen und Schüler immer stärker unter Druck stehen. Freizeit ist Mangelware, immer zeigen sich psychische Auswirkungen durch den Schulstreß.“ Ein ausgewogenes Verhältnis von Lernen und Freizeit ist entscheidend, um Burnout zu vermeiden und die Freude am Lernen zu erhalten. Interaktion mit der Natur, beispielsweise, wirke sich positiv auf die innere Balance aus und unterstütze die Konzentrationsfähigkeit. „Wir alle wissen, daß der Mensch unter Streß weniger kreativ ist, sich Dinge schlechter merkt und sich unausgeglichen fühlt. Genau dafür brauchen wir alle dringend ausreichend Pausen“, so Ecker.
Vom Drama des „Fünfers“ zum erfolgreichen Schul-Neustart
Trotz der Bedeutung der Erholung neigen sich die schönsten Ferien irgendwann dem Ende zu. Für einen gelungenen Schul-Neustart im Herbst ist eine sanfte Rückkehr in den geregelten Alltag, insbesondere bei kleineren Kindern, ratsam. Dazu gehöre es, den Lernstoff in kleinen Portionen, möglichst spielerisch und nebenbei, wieder in Erinnerung zu rufen. Dies kann durch kurze Übungen, thematisch passende Spiele oder das gemeinsame Lesen von Büchern geschehen, ohne daß es sich nach strengem Lernen anfühlt. Isabella Ecker schlägt vor: „Wecken Eltern außerdem die Freude der Kinder am Neuanfang, ihnen fällt der Schulbeginn leichter. Immerhin sehen sie ihre Schulfreunde wieder, vielleicht versüßen eine neue Schultasche, schöne Stifte oder ein selbst ausgesuchtes Federpennal den Schulanfang.“ Solche kleinen Anreize können die Motivation der Kinder für den Schulbeginn erheblich steigern.
Eine besondere Herausforderung stellen Noten im Zeugnis dar, die eine Nachprüfung nach sich ziehen („Nachzipf“). Hier sei die Lage ernster und es bedürfe längerer Vorlaufzeiten. Eine intensive Vorbereitung mit Ferienkursen, Sommerschule oder Nachhilfe sollte noch vor dem Start in die Ferien organisiert werden. Dennoch empfiehlt Ecker, den Juli der Erholung zu widmen und erst im August mit den gezielten Vorbereitungen auf die Nachprüfungen zu beginnen. Rechtzeitig anzufangen ist wichtig, damit der Lernstoff in gut verdauliche Portionen aufgeteilt werden kann. Doch auch hier sind Erholungsphasen unerläßlich und müssen mitbedacht werden. „Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sollten unbedingt in die Planung eingebunden werden“, rät Ecker. „Sprechen Sie vor allem mit älteren Schülerinnen und Schülern in Ruhe darüber, welche Vorsätze sie für das neue Schuljahr haben.“ Dies gibt den Jugendlichen eine aktive Rolle und stärkt ihre Eigenverantwortung.
Besonders wichtig ist auch der Umgang mit schlechten Noten. Ein Fünfer im Zeugnis sei „kein Drama“, und Eltern sollten dies auch nicht dramatisieren. Gerade wenn die Noten schlecht sind, benötigen Kinder umso mehr Unterstützung und Zuneigung, betont Ecker. Dies hilft ihnen, mit der Enttäuschung über die eigene Leistung und mit dem Streß der Nachprüfung besser fertig zu werden. Das Hilfswerk Österreich bietet in familiären Krisensituationen professionelle Hilfe und Beratung über eine gebührenfreie Hotline an, was die Bedeutung der Unterstützung und des Verständnisses für die seelische Gesundheit der Kinder unterstreicht.