Dass Passagiere so allerhand Strapazen auf sich nehmen, wenn es billig ist, ist von Lowcost-Airlines bekannt. Die An- und Abreise zum jeweiligen Airport kann schon mal länger dauern als der eigentliche Flug und allerhand Schikanen der Billigfluggesellschaften werden in Kauf genommen, um für möglichst wenig Geld von A nach B zu kommen.
Ein vergleichbares Phänomen zeigt sich seit einigen Wochen im deutschen Schienenverkehr, denn das Neun-Euro-Ticket findet nicht nur enorm viele Abnehmer, sondern viele Reisende nutzen dies auch. Eigentlich wollte die deutsche Bundesregierung mit dieser auf drei Monate befristeten Aktion primär Pendlern unter die Arme greifen bzw. Autofahrer zum Umstieg auf Bahn und Bus bewegen. Der Umstand, dass der Löwenanteil des Zeitraums, in dem dieser Billigfahrschein angeboten wird, in die Sommerferien fällt, hat bereits im Vorfeld erahnen lassen, dass auch Urlaube und Ausflüge im großen Stil gemacht werden.
Für lediglich neun Euro pro Monat kann man in Deutschland in den Monaten Juni, Juli und August 2022 nahezu alle Angebote des Regionalverkehrs nutzen. Fernzüge wie Intercity, Eurocity und IntercityExpress sind nicht inkludiert. Die Folge daraus: Die Auslastung im Fernverkehr ist drastisch gesunken, denn viele nutzen lieber die langsameren, aber im Billigticket inkludierten Regionalzüge. Diese sind vielerorts so stark überfüllt, dass Fahrkartenkontrollen gar nicht durchgeführt werden können, denn den Zugbegleitern ist es schlichtweg unmöglich durch die Waggons zu kommen. Zu Spitzenzeiten ist jeder Quadratzentimeter mit Fahrgästen besetzt und wenn man nirgendwo anders Platz findet, wird auch die Toilette zum „Ersatzabteil“.
Flughäfen jammern wegen Parkplatz-Umsatzrückgängen
Gleichzeitig entwickelte sich unter deutschen Journalisten ein neues Genre, denn besonders TV-Stationen meinen durch ihre Reporter testen und vorstellen zu müssen wie das Reisen mit dem Neun-Euro-Ticket funktioniert. Dies ist mitunter durchaus lustig, denn Fahrgäste wissen in der Regel wie man in Bus und Bahn einsteigt, jedoch ist das Sommerloch scheinbar so groß, dass man sich zusätzlich zu Fahrgästen, die wirklich von A nach B reisen wollen, in die ohnehin überfüllten Züge quetschen muss.
Es gibt viele, die vom Billigfahrschein der deutschen Bundesregierung massiv profitieren. In erster Linie sind es natürlich die Fahrgäste, die zum Dumpingpreis durch ganz Deutschland reisen können. Doch nicht jeder Inhaber eines solchen Tickets ist auch „Hardcore-User“, der fast täglich damit unterwegs ist. Zahlreiche Reisende legen sich die Monatskarte zu, um günstig zum Flughafen ihres Urlaubsfluges an- und abreisen zu können. So ist es auch gar nicht verwunderlich, dass man an Umsteigebahnhöfen im Umfeld von Airports, die häufig von Billigfliegern genutzt werden, besonders viele Trolleys mit Tags von Lowcostern sieht. Die Bahn- bzw. Busfahrt (je nach Flughafen) ist mit dem Neun-Euro-Ticket oftmals wesentlich billiger als mit einer normalen Standard-Fahrkarte. Aus Umweltsicht ist es natürlich besser, wenn die Öffis für die An- und Abreise genutzt werden.
Einige Flughäfen jammern bereits herum, dass seit der temporären Einführung der Neun-Euro-Fahrkarte erheblich mehr Passagiere mit Bahn und Bus anreisen und die Nachfrage nach Parkplätzen, die im Regelfall nicht gerade billig sind, drastisch gesunken ist. Die Sorge: Möglicherweise könnte der eine oder andere Passagier beim nächsten Mal auch öffentlich anreisen und die Einnahmen aus den teuren Parkplätzen sinken dauerhaft. Mitleid muss man da wohl wirklich nicht haben, denn an vielen deutschen Flughäfen sind die Preise für das Abstellen des eigenen Kraftfahrzeugs exorbitant teuer und die Managements brauchen sich schlichtweg nicht zu wundern, dass die Fluggäste günstigere Alternativen dankend annehmen und nutzen.
Viele Gewinner, aber auch einige Verlierer
Der Fernbusanbieter Flixbus sieht sich selbst als eine Art Verlierer des Neun-Euro-Tickets, denn seit der temporären Einführung sind die Umsätze um bis zu 70 Prozent zurückgegangen. Wer also viel Platz möchte, ist derzeit im Fernverkehr von Flixbus, Flixtrain und der Deutschen Bahn gut aufgehoben, denn hier gilt das Neun-Euro-Ticket nicht und die Nachfrage ist regelrecht in den Keller eingebrochen. Übrigens: Auch im innerdeutschen Flugverkehr ist die Nutzung im Point-to-Point-Verkehr erheblich zurückgegangen, jedoch im Bereich von Umsteigern aufgrund verschiedener Umstände gestiegen.
Das deutsche Neun-Euro-Ticket hat aber einen „Denkfehler“, der historisch bedingt ist. Bei billigen Netzkarten, die seit den 1990er-Jahren für einzelne Bundesländer oder an Wochenenden mitunter für die ganze Bundesrepublik angeboten wurden, war schon immer nur der Nahverkehr inkludiert. Diese Praxis wurde auch für das Neun-Euro-Ticket übernommen. Im Gegensatz dazu gilt das – deutlich teurere – Klimaticket in Österreich sehr wohl im Fernverkehr.
Bei der Überfüllung von Railjets, Euro- oder Intercity kann in Österreich relativ unproblematisch auf langsamere Regionalexpress ausgewichen werden. In Deutschland ist das insofern nicht möglich, weil der Billigfahrschein keine Gültigkeit im Fernverkehr hat. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Nachfrage in Intercity, Eurocity und ICE deutlich eingebrochen ist und die Nahverkehrszüge regelrecht überfüllt sind.
Derzeit diskutiert die deutsche Politik durchaus intensiv über einen möglichen Nachfolger des Neun-Euro-Fahrscheins. Fix ist lediglich, dass dieser teurer werden soll und weiterhin nur im Regionalverkehr gültig sein soll. Ob es eine nahtlose Anschlusslösung ab September 2022 geben wird, ist aber alles andere als fix. Bundes- und Landesregierungen haben hinsichtlich der Finanzierung deutlich unterschiedliche Vorstellungen und der Verband der privaten Busunternehmer fordert, dass auch Verkehre von Flixbus und Co einbezogen werden sollen. Warum man nicht von Anfang an eine Art „deutsches Klimaticket“ auf die Beine gestellt hat, ist völlig unverständlich.
„Nachtzug-Propaganda“ im deutschen Fernsehen und auf YouTube
Nebst schräger „Neun-Euro-Ausflüge“ zeigt sich in Deutschland noch ein ganz anderes Phänomen und zwar die so genannte „Nachtzug-Propaganda“ von TV-Stationen, aber auch von so genannten YouTube-Influencern. Mittlerweile hat so ziemlich jedes Format schon die Nightjet-Züge der Österreichischen Bundesbahnen „getestet“ und diese stets als besonders gut dargestellt. Was aber in den meisten Fällen verschwiegen wird: Reisen mit Nachtzügen ist alles andere als billig und gezeigt werden in den Berichten häufig nur die schönsten Abteile. Jene, die in Schmutz und Dreck regelrecht ersticken bzw. nicht auf dem neuesten Stand sind, werden in der „Nachtzug-Propaganda“ nicht gezeigt. Auch wird gelegentlich verschweigen, dass auf manchen Relationen die Reisezeit gegenüber am Tag verkehrender Railjet-Züge deutlich länger ist. Beispiel: Von Wien nach München im Nachtzug kann bis zu sieben Stunden dauern und in einem Economy-Schlafwagen-Einzelbett rund 200 Euro kosten. Am Tag verkehren Westbahn und ÖBB in nur knapp über vier Stunden für deutlich weniger Geld.
Geht es um die „Finanzierung“ dieser „Nachtzugtests“ werden alle Beteiligten schnell äußerst wortkarg. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ausgerechnet YouTuber sich selbst die Nachtzugfahrkarten kaufen und dann auch offensichtliche Mängel gezielt ausblenden. Sowohl im Fernsehen als auch auf YouTube fehlen im Regelfall die Hinweise, dass der Produkttest eben nicht rein zufällig durchgeführt wurde und gezielt dazu dient, um die Nachtzüge gegenüber dem Flugzeug ins rechte Licht zu rücken.
Politisch ist es beispielsweise in Österreich gewollt, dass das Fliegen als „böse“ gilt und der Zug prinzipiell als „klimafreundlich“ betrachtet wird. Dabei blendet die Politik aus, dass in Europa die überwiegende Mehrheit des Eisenbahnverkehrs mit Diesellokomotiven durchgeführt wird. In manchen Staaten sind diese ordentlich in die Jahre gekommen und haben nicht einmal einen Partikelfilter. Elektrischer Eisenbahnverkehr hat lediglich – beispielsweise – in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz die Oberhand, wobei es natürlich auch hier noch viele Dieselstrecken gibt. Misst man direkt bei einer Elektrolokomotive den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß, so wird dieser nahezu bei 0,0 liegen. Am Schlot eines Kohlekraftwerks, das Bahnstrom produziert, sind die Messwerte ganz andere. Die Bilanz hinkt also, denn je nach Strecke und Aufkommen können auch das Flugzeug bzw. der Fernbus eine bessere Umweltbilanz haben. Es kommt immer auf alle Umstände an und nicht nur auf das Wunschdenken einzelner Politiker.
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