Die globale Luftfahrtindustrie steht vor einer immensen Herausforderung, wenn es um die Bereitstellung von nachhaltigem Kerosin, auch als Sustainable Aviation Fuel (SAF) bekannt, für den weltweiten Bedarf in den kommenden Jahrzehnten geht. Laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung EY werden die Investitionen in die Produktion von SAF in den nächsten Jahren drastisch ansteigen müssen, um den sich rapide verändernden Anforderungen gerecht zu werden. Die Kosten für den Aufbau der nötigen Produktionskapazitäten dürften in den kommenden Jahren auf eine Größenordnung zwischen eins und 1,5 Billionen US-Dollar steigen – eine Summe, die nahezu den gesamten jährlichen Investitionen in die Infrastruktur für Öl und Gas weltweit entspricht.
Die Luftfahrtbranche ist seit Langem mit der Herausforderung konfrontiert, ihre CO2-Emissionen zu senken und nachhaltige Alternativen zu traditionellen fossilen Brennstoffen zu finden. Nachhaltiges Kerosin gilt als eine vielversprechende Lösung, da es eine direkte Möglichkeit bietet, die CO2-Emissionen von Flugzeugen zu reduzieren, ohne dass die gesamte Infrastruktur der Luftfahrtindustrie verändert werden muss. Allerdings gibt es erhebliche Hürden, insbesondere im Hinblick auf die Produktionskapazitäten, die zum jetzigen Zeitpunkt bei Weitem nicht ausreichen, um den zukünftigen Bedarf zu decken.
Die wachsende Nachfrage nach SAF
Laut der Studie von EY wird der Bedarf an SAF in den kommenden Jahrzehnten dramatisch steigen. Die globalen Märkte für nachhaltiges Kerosin befinden sich in einer Wachstumsphase, die durch strenge regulatorische Vorgaben und die wachsende Nachfrage nach klimafreundlichen Treibstoffen angetrieben wird. Insbesondere in Europa wird ein enormer Anstieg des Bedarfs prognostiziert. Schätzungen zufolge soll bis zum Jahr 2050 mehr als die Hälfte des gesamten Kerosinbedarfs in Europa durch SAF gedeckt werden. Dies würde eine Nachfrage von rund 73,1 Millionen Tonnen SAF allein in Europa bedeuten. In Nordamerika, dem zweitgrößten Markt, dürfte die Nachfrage bei etwa 60 Millionen Tonnen liegen.
Der europäische Markt wird durch die EU-Verordnung zur Reduktion von CO2-Emissionen und die Verpflichtungen der Fluggesellschaften, nachhaltige Treibstoffe einzusetzen, zusätzlich angetrieben. Ab dem Jahr 2023 müssen alle Fluggesellschaften, die in Europa operieren, mindestens zwei Prozent ihres Kerosinverbrauchs mit SAF decken. Bis zum Jahr 2030 soll dieser Anteil auf mindestens sechs Prozent steigen. Aktuell liegt der Anteil von SAF jedoch bei lediglich 0,2 Prozent des gesamten Kerosinverbrauchs in Europa, was die Dimension der Herausforderung verdeutlicht.
Kosten und Investitionen
Die notwendigen Investitionen in den Ausbau der Produktionskapazitäten für SAF sind laut der Studie von EY gewaltig. Um den geschätzten Bedarf im Jahr 2050 zu decken, werden weltweit zwischen 5.000 und 7.000 neue Produktionsanlagen benötigt. Diese Anlagen würden erhebliche Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung erfordern. Die Gesamtkosten für den Ausbau der SAF-Produktion werden auf bis zu 1,5 Billionen US-Dollar geschätzt. Dies entspricht in etwa sechs bis zehn Prozent der jährlichen Investitionen, die derzeit in die Infrastruktur der Öl- und Gasindustrie fließen.
Trotz der hohen Investitionsanforderungen sind die Experten von EY der Ansicht, dass diese Ausgaben nicht so hoch erscheinen, wenn man sie in Relation zu den globalen Investitionen in fossile Brennstoffe setzt. Laut EY könnte die Ölindustrie einen erheblichen Teil der erforderlichen Mittel bereitstellen, da sie bereits von den hohen Preisen für Öl und Gas profitiert. Die Finanzmittel könnten über verschiedene Mechanismen wie einen zentralen Fonds auf EU-Ebene gesammelt werden, der Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel oder Strafzahlungen für Verstöße gegen Klimaschutzbestimmungen umfassen würde. Diese Mittel könnten dann in den Ausbau der SAF-Produktion investiert werden.
Produktion und Herausforderungen
Trotz des vielversprechenden Wachstums des SAF-Marktes bleibt die Produktionskapazität derzeit begrenzt. Laut der International Air Transport Association (IATA) wird im Jahr 2023 die weltweite SAF-Produktion voraussichtlich bei nur 2,1 Millionen Tonnen liegen, was nur etwa 0,7 Prozent des gesamten Kerosinverbrauchs für Düsenjets ausmacht. In Deutschland wird erwartet, dass die Produktion von SAF bis 2026 lediglich 0,08 Millionen Tonnen betragen wird. Dies verdeutlicht die enorme Diskrepanz zwischen der aktuellen Produktionsmenge und dem zukünftigen Bedarf.
Aktuell sind weltweit 264 neue Projekte zur SAF-Produktion in Planung, von denen 103 in Nordamerika und 98 in Europa angesiedelt sind. Viele Fluggesellschaften haben bereits Lieferverträge mit SAF-Produzenten abgeschlossen, um ihre eigenen Klimaziele zu erreichen und den Bedarf an nachhaltigem Treibstoff zu decken. Doch trotz dieser zahlreichen Projekte bleibt die Versorgung mit SAF knapp, was Fluggesellschaften dazu zwingt, auf alternative Lösungen zurückzugreifen oder in die Forschung und Entwicklung eigener SAF-Produktionskapazitäten zu investieren.
Potenzielle Lösungen und Zukunftsperspektiven
Ein zentraler Aspekt, den die Experten von EY ansprechen, ist die Notwendigkeit, auf EU-Ebene einen zentralen Fonds für den Ausbau der SAF-Industrie zu schaffen. Dieser Fonds könnte durch Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel und Strafzahlungen aus Klimaschutzverletzungen gespeist werden. Zusätzlich schlagen die Berater vor, eine Abgabe auf Flugtickets einzuführen und eine Steuer auf Einkünfte aus der SAF-Produktion durch die Verwertung von Abfällen zu erheben. Diese Maßnahmen könnten dazu beitragen, die nötigen finanziellen Mittel zu generieren, um die SAF-Produktion in den nächsten Jahren erheblich zu steigern.
Die Herausforderung, den globalen Bedarf an nachhaltigem Kerosin zu decken, ist enorm und erfordert umfangreiche Investitionen in Infrastruktur und Technologie. Angesichts der steigenden Nachfrage nach SAF und der politischen Vorgaben zur CO2-Reduktion sind sowohl die Luftfahrtindustrie als auch die Politik gefordert, gemeinsame Lösungen zu finden, um die Produktionskapazitäten auszubauen und die Versorgung mit nachhaltigem Kerosin sicherzustellen.