Neue Studie warnt vor Sekundenschlaf im Cockpit

Cockpit Embraer 190 (Foto: Steffen Lorenz).
Cockpit Embraer 190 (Foto: Steffen Lorenz).

Neue Studie warnt vor Sekundenschlaf im Cockpit

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Schon seit vielen Jahren warnen Gewerkschaften und Pilotenverbände immer wieder vor dem Risiko ermüdeter Flugzeugführer im Cockpit. In der Vergangenheit sind deswegen auch schon einige fatale Unfälle passiert.

Sekundenschlaf im Cockpit, unzureichende Ruhezeiten zur Verhinderung kumulativer Ermüdung, Ausdehnung der Flugdienstzeiten über das gesetzliche Maximum hinaus: Ein neu veröffentlichter Bericht zeichnet kein gutes Bild vom Risikomanagement bei Ermüdung (Fatigue Risk Management – FRM) in der europäischen Luftfahrt. Der Bericht “A fatigue survey of European Pilots” des Beratungsunternehmens für Flugsicherheitsmanagement Baines Simmons analysiert die Antworten von fast 6.900 europäischen Piloten und Pilotinnen aus 31 Ländern. Der Bericht zeigt nicht nur signifikante Indikatoren für Müdigkeit im Vorfeld der hektischen Sommerzeit auf, sondern auch strukturelle Mängel im Umgang der europäischen Fluggesellschaften mit dem Müdigkeitsrisiko.

Drei von vier Piloten erlebten in den letzten vier Wochen mindestens einen Sekundenschlaf während des Betriebs eines Flugzeugs – und ein Viertel berichtete von fünf oder mehr Sekundenschlafsituationen. Darüber hinaus gaben 72,9 % der Piloten an, dass sie sich zwischen den Einsätzen nicht ausreichend von der Müdigkeit erholen konnten. Weiters zeigt der Bericht einen besorgniserregenden Trend bei der Verlängerung von Flugdienstzeiten auf: fast jeder fünfte Pilot verlängerte seine/ihre Flugzeit nach eigenem Ermessen (Commander’s Discretion, CD) innerhalb der letzten vier Wochen zweimal oder öfter. Weiters äußerten mehr als 60 % der Piloten und Pilotinnen in unterschiedlichem Maße Bedenken hinsichtlich möglicher negativer Konsequenzen, wenn sie sich weigern würden, einen Flugdienst im Rahmen der CD zu verlängern (hier geben österreichische Cockpit-Crews etwas positivere Antworten).

Der Baines-Simmons-Bericht erscheint nur zwei Monate nachdem die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) vor dem Risiko einer erhöhten Müdigkeit des Flugpersonals während des Sommers gewarnt und die Fluggesellschaften aufgefordert hatte, ausreichende Puffer einzuplanen und sich nicht darauf zu verlassen, dass Piloten ihre maximale Flugdienstzeit systematisch verlängern. Die Ergebnisse des Berichts weisen jedoch auf eine andere Realität hin. Hinzu kommt, dass sich die Ergebnisse auf einen Zeitraum vor und zu Beginn der Hochphase des Sommerbetriebs beziehen (der Fragebogen lief vom 1. – 22. Juli 2023), d.h. es ist davon auszugehen, dass Ergebnisse im August/September kaum besser, sondern eher noch negativer ausfallen würden.

Der Bericht zeigt auch eine andere, eher strukturelle Dimension, die nicht nur während des Sommerbetriebs auftritt: Ein Beispiel dafür, wie das Risikomanagement bei Müdigkeit nicht so effektiv umgesetzt wird, wie es sein sollte, ist das Müdigkeits-Reporting. Nur 10,8 % der Piloten gaben an, dass ihre Fluggesellschaft aufgrund von Müdigkeitsmeldungen betriebliche Änderungen zur Verbesserung der Sicherheit vorgenommen hat, nur 13,2 % wählten die Option “Das Unternehmen kommuniziert gut mit der Besatzung über Müdigkeitsmeldungen”, und nur 12 % gaben an, dass sie dem Meldesystem ihrer Fluggesellschaft vertrauen (in Österreich 21,8 %). Wie Baines Simmons bemerkt: “Ohne ein wirksames Meldesystem ist es unwahrscheinlich, dass die Fluggesellschaft ein genaues Bild von der Müdigkeit im Betrieb hat, was ihre Fähigkeit einschränkt, das Müdigkeitsrisiko durch die Umsetzung wirksamer Abhilfemaßnahmen zu bewältigen.”

Der Bericht von Baines Simmons basiert auf Daten, die im Rahmen einer europaweiten, vom Europäischen Rechnungshof geförderten Umfrage unter Piloten von Fluggesellschaften im Zeitraum vom 1. bis 22. Juli 2023 erhoben wurden. Bei mehreren Fragen wurde ein vierwöchiger “Rückblick” zugrunde gelegt, so dass nicht der Höhepunkt des Flugbetriebs, sondern das “Hochfahren” auf die geschäftige Sommerreisesaison (d.h. seit Anfang Juni) erfasst wurde. Die Teilnahme an der Online-Umfrage war freiwillig, während die Fragen – die in Zusammenarbeit zwischen der European Cockpit Association (ECA) und Baines Simmons entwickelt worden waren – obligatorisch waren. Die in dem Bericht enthaltene Analyse wurde von Baines Simmons durchgeführt, ebenso wie die Ausarbeitung von Schlussfolgerungen und Empfehlungen.

Der erwähnte Bericht ist unter diesem Link auf dem Server von Aviation.Direct im PDF-Format zum Download bereitgestellt.

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