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Reisebranche im Tarifstreit: Verdi droht mit Arbeitskampf

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Nachdem die fünfte Verhandlungsrunde zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Tarifkommission des Deutschen Reiseverbandes (DRV-T) vergangene Woche ergebnislos endete, steht die deutsche Reisebranche am Scheidewege. Verdi hat eine Umfrage unter ihren Mitgliedern gestartet, die bis zum 7. Juli andauert und die Bereitschaft zu Aktionen und Streiks ausloten soll.

Dies deutet auf eine bevorstehende Eskalation des Konfliktes hin, da die Gewerkschaft das jüngste Angebot der Arbeitgeberseite als völlig unzureichend kritisiert. Insbesondere die Tatsache, daß weite Teile der Belegschaft in den Reisebüros selbst nach den vorgeschlagenen Erhöhungen weiterhin unterhalb des gesetzlichen Mindestlohnes verbleiben würden, stößt auf harsche Kritik und unterstreicht die tiefe Kluft zwischen den Verhandlungsparteien.

Verhandlungsmarathon ohne Ergebnis: Die unzureichenden Angebote der DRV-T

Der Tarifkonflikt, der die Arbeitsbedingungen für Tausende von Beschäftigten in Reisebüros und bei Reiseveranstaltern in Deutschland regelt, zieht sich bereits seit geraumer Zeit hin. Die Hoffnungen auf einen Durchbruch in der fünften Verhandlungsrunde wurden enttäuscht, als die Gespräche ohne eine Einigung endeten. Verdi wirft der Tarifkommission des DRV-T vor, ein Angebot vorgelegt zu haben, welches die Erwartungen der Arbeitnehmer bei weitem nicht erfüllt.

Laut einem detaillierten Schreiben von Verdi an ihre Mitglieder umfaßte das Angebot der Arbeitgeberseite folgende Punkte:

  • Eine einmalige Einmalzahlung in Höhe von 400 Euro.
  • Eine Erhöhung der Grundgehälter um 2,5 Prozent, jedoch mindestens um 100 Euro, beginnend zum 1. September 2025.
  • Eine weitere Gehaltsanpassung zum 1. April 2026: zwei Prozent für den Veranstalter-Bereich, jedoch nur ein Prozent für den Reisebüro-Sektor.
  • Eine Anhebung der Ausbildungsvergütungen um 30 Euro, ebenfalls in zwei Schritten zum 1. September 2025 und 1. April 2026.
  • Eine festgesetzte Eingruppierung für Neueinstellungen in Reisebüros: C3 für Fachkräfte mit einschlägiger Ausbildung und C2 für Quereinsteiger.
  • Die dauerhafte Zahlung der Stufe 5.
  • Die Einführung einer erfolgsabhängigen Zulage im Reisebüro: drei Prozent bei 100-prozentiger Zielerreichung und sieben Prozent bei 220-prozentiger Zielerreichung.
  • Die Vereinheitlichung des VWL-Zuschusses.

Verdi sieht in diesen Zugeständnissen kaum eine Verbesserung gegenüber früheren Angeboten. Die Bundestarifkommission von Verdi äußerte in ihrem Schreiben große Skepsis, wie auf dieser Basis überhaupt noch ein „fairer Tarifabschluß“ erzielt werden könne. Dies verdeutlicht, daß die Gewerkschaft das Angebot nicht als Grundlage für weitere konstruktive Gespräche betrachtet.

Kritik am Kern: Unter dem gesetzlichen Mindestlohn

Der gravierendste Kritikpunkt seitens Verdi betrifft die Geringfügigkeit der angebotenen Gehaltserhöhungen, die dazu führen würden, daß zahlreiche Entgeltgruppen, insbesondere im Reisebürobereich, selbst nach den vorgeschlagenen Anpassungen weiterhin unter dem gesetzlich festgelegten Mindestlohn liegen. „Für das Festschreiben der gesetzlichen Mindeststandards braucht es keinen Tarifvertrag! Das können die Arbeitgeber dann auch allein festlegen“, monierte die Gewerkschaft in deutlichen Worten. Diese Aussage unterstreicht das Kernproblem aus Sicht der Arbeitnehmer: Ein Tarifvertrag soll über die gesetzlichen Mindestvorgaben hinausgehen und bessere Arbeitsbedingungen schaffen.

Um die Diskrepanz zu verdeutlichen, verweist Verdi auf bundesweite Durchschnittsverdienste. Im vergangenen Jahr lag der durchschnittliche Jahresverdienst inklusive Sonderzahlungen in Deutschland bei Vollzeitbeschäftigung bei 62.235 Euro brutto, der Medianverdienst bei 52.159 Euro brutto. Im krassen Gegensatz dazu würden die im DRV-T-Angebot vorgesehenen Jahresverdienste in der Reisebranche deutlich niedriger ausfallen: Für eine Eingruppierung in D5 im Veranstalterbereich lägen sie nach der ersten Erhöhung bei etwa 44.360 Euro brutto, im Reisebüro-Bereich bei vergleichbarer Eingruppierung bei rund 42.792 Euro brutto. Selbst in der Gruppe E5 im Veranstalter läge der Jahresverdienst nach Gewerkschaftsberechnungen bei 48.470 Euro brutto und im Reisebüro bei 46.783 Euro brutto. Diese Zahlen illustrieren die erhebliche finanzielle Kluft, die Verdi zwischen der Reisebranche und anderen Wirtschaftszweigen sieht.

Ungenügende Perspektiven: Lehrlinge und Quereinsteiger im Fokus

Auch die angebotenen Erhöhungen für Auszubildende stoßen auf heftige Kritik. Mit lediglich 30 Euro mehr pro Monat in zwei Schritten lägen die Vergütungen „nur wenig über den vom Berufsbildungsgesetz vorgegebenen Mindestauszubildendenvergütungen“. Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) sieht für das erste Ausbildungsjahr ab 2025 eine Mindestvergütung von 682 Euro vor, mit gestaffelten Erhöhungen in den Folgejahren. Die von der DRV-T angebotene Erhöhung wird von Verdi als unzureichend erachtet, um die Attraktivität einer Ausbildung in der Reisebranche zu steigern und dem akuten Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die Branche riskiere, ihren Nachwuchs an besser bezahlende Sektoren zu verlieren.

Die Regelungen zur Eingruppierung von Quereinsteigern und ausgebildeten Kollegen im Reisebüro in die Gruppen C2 und C3 werden von Verdi ebenfalls als problematisch angesehen. Die Gewerkschaft argumentiert, daß diese Eingruppierungen angesichts der insgesamt sehr niedrigen Gehälter faktisch ein „Muss“ seien, um überhaupt den gesetzlichen Mindestlohn zu erreichen. „Nur so kann sichergestellt werden, daß ihre Gehälter nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen und zumindest noch ein kleiner Unterschied zwischen ausgebildeten und nicht ausgebildeten Kollegen erkennbar ist“, so die Gewerkschaft. Dies wirft ein Schlaglicht auf die strukturellen Lohnprobleme in Teilen der Reisebranche, die auch die Wertschätzung für qualifiziertes Personal in Frage stellen.

Stufe 5 und Erfolgszulagen: Variable Vergütung im Zentrum der Debatte

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die dauerhafte Zahlung der Stufe 5 im Reisebüro-Bereich, welche von Verdi grundsätzlich begrüßt wird. Allerdings sei diese Zusage an die Einführung einer erfolgsabhängigen Zulage gekoppelt. Diese Erfolgszulage, die bei 100-prozentiger Zielerreichung drei Prozent und bei 220-prozentiger Zielerreichung sieben Prozent betragen soll, wird von den Arbeitgebern offenbar als Mittel gesehen, die Lohnkosten an die Ertragslage der Unternehmen zu koppeln. Aus Sicht der Gewerkschaft könnte dies jedoch zu Unsicherheiten beim Einkommen der Beschäftigten führen, da die Zielerreichung nicht immer direkt vom einzelnen Mitarbeiter beeinflußbar ist. Solche variablen Gehaltsbestandteile sind oft umstritten, da sie die Planbarkeit des Einkommens für die Arbeitnehmer erschweren und zudem zu internem Konkurrenzverhalten führen können, wie eine Umfrage von „Reise vor9“ unter Reiseprofis im Mai 2025 zeigte, in der sich 37 Prozent gegen solche Zulagen aussprachen. 52 Prozent der Befragten befanden variable Zulagen zwar in Ordnung, jedoch nur als Ergänzung zu einer auskömmlichen Grundvergütung.

Die Vereinheitlichung des VWL-Zuschusses ist ein untergeordneter Punkt, der jedoch die Bestrebungen zur Harmonisierung der Leistungen innerhalb des Tarifvertrages aufzeigt.

Die Reisebranche in der Krise: Auswirkungen des Tarifstreites

Der aktuelle Tarifstreit trifft eine Branche, die in den letzten Jahren, insbesondere durch die weltweite Gesundheitskrise und die damit verbundenen Reisebeschränkungen, erhebliche Einbußen erlitten hat. Die Reisebüros und Reiseveranstalter kämpfen mit dem Wiederaufbau des Geschäftes, sich verändernden Kundenbedürfnissen und einem anhaltenden Fachkräftemangel. Seit dem letzten Flächentarifvertrag im Jahre 2018 hat es keine neuen Abschlüsse gegeben, was laut Verdi zu einem Reallohnverlust von über 23 Prozent geführt hat. Diese Situation verschärft die Unzufriedenheit der Beschäftigten.

Die nun drohenden Streiks und Aktionen könnten die Erholung der Branche zusätzlich behindern. Arbeitsniederlegungen, insbesondere in der bevorstehenden Hauptreisezeit, würden erhebliche Störungen verursachen, Reisende verunsichern und den Unternehmen finanzielle Verluste bescheren. Das Vertrauen der Kunden in die Stabilität der Reiseangebote könnte leiden, was langfristige negative Folgen haben könnte. Für viele Beschäftigte ist der Schritt zum Streik jedoch eine letzte Option, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen und auf die ihrer Ansicht nach unhaltbaren Zustände in der Branche aufmerksam zu machen. Eine Umfrage von „Reise vor9“ zeigte bereits im Mai, daß eine Mehrheit der Touristik-Angestellten die Forderung nach 19,5 Prozent mehr Gehalt als angemessen empfindet und 78 Prozent das Angebot der Arbeitgeber als zu gering bewerten.

Eskalation oder doch noch eine Einigung?

Die bis zum 7. Juli laufende Mitgliederumfrage von Verdi ist ein entscheidender Faktor für den weiteren Verlauf des Tarifstreites. Das Ergebnis wird die Entschlossenheit der Arbeitnehmerseite aufzeigen und das Mandat für mögliche Arbeitskämpfe liefern. Sollte sich eine hohe Streikbereitschaft abzeichnen, wäre der Druck auf die DRV-T immens, ein deutlich verbessertes Angebot vorzulegen.

Für die DRV-T und die gesamte Reisebranche ist es von größtem Interesse, eine Eskalation zu vermeiden. Ein ausgedehnter Arbeitskampf könnte die ohnehin fragile Erholung der Branche ernsthaft gefährden und das Image weiter beschädigen. Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitgeberseite angesichts des drohenden Konfliktes bereit sein wird, ihre Position zu überdenken und einen Kompromiß anzubieten, der die Existenzängste der Beschäftigten lindert und die Branche als attraktiven Arbeitgeber stärkt. Die kommenden Tage werden zeigen, ob ein Weg aus der Sackgasse gefunden werden kann oder ob die deutsche Reisebranche auf turbulente Zeiten zusteuert.

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