Wegweiser zum Bahnhof am Flughafen Graz (Foto: Jan Gruber).
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Reiserechtlicher Präzedenzfall: Schienen-Control Kommission spricht Entschädigung bei vorverlegter Zugabfahrt zu

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In einer wegweisenden Entscheidung hat die Schienen-Control Kommission (SCK) zugunsten einer Konsumentin geurteilt, deren gebuchter Zug eine Stunde früher abfuhr als ursprünglich im Ticket angegeben.

Diese Entscheidung, welche das Eisenbahnunternehmen zur Zahlung einer Fahrpreisentschädigung in Höhe von 25 Prozent des Ticketpreises verpflichtet, schafft einen wichtigen Präzedenzfall im Passagierrecht und stärkt die Position der Reisenden. Der Fall beleuchtet die komplexen Feinheiten des Fahrgastrechts, insbesondere wenn Abfahrtszeiten nicht eingehalten werden – auch dann, wenn der Zug früher als geplant verkehrt und pünktlich am Ziel ankommt. Die Entscheidung der SCK unterstreicht die Notwendigkeit, daß Fahrpläne nicht nur hinsichtlich der Verspätung, sondern auch der zu frühen Abfahrt verbindlich sind.

Der Fall Wien-Hamburg 2024: Eine verfrühte Abfahrt mit Folgen

Hintergrund des nun entschiedenen Falles war eine Reise von Wien nach Hamburg im Jahre 2024. Die betreffende Reisende hatte einen Nachtzug gebucht, dessen Abfahrtszeit vom Eisenbahnunternehmen um mehr als eine Stunde vorverlegt wurde. Obwohl die Ankunftszeit des Zuges planmäßig eingehalten wurde, verlängerte sich die tatsächliche Reisezeit für die Betroffene um insgesamt rund 90 Minuten, da sie entsprechend früher am Abfahrtsbahnhof erscheinen mußte.

Das betroffene Eisenbahnunternehmen verweigerte eine Entschädigung mit dem Verweis darauf, daß die Ankunftszeit des Zuges am Zielort Hamburg planmäßig erfüllt worden sei. Aus Sicht des Unternehmens sei dem Passagier kein relevanter Nachteil entstanden, da das Endziel zur erwarteten Zeit erreicht wurde. Die Konsumentin jedoch fühlte sich durch die erhebliche Vorverlegung der Abfahrtszeit benachteiligt, da diese ihre Reiseplanung durcheinandergebracht hatte und sie unerwartet früher am Abfahrtsort sein mußte. Da sie sich in ihren Rechten verletzt sah, wandte sie sich an die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte (apf), eine anerkannte Schlichtungsstelle in Österreich.

Von der Schlichtung zur Entscheidung: Ein Präzedenzfall für das Eisenbahngesetz

Die apf eröffnete daraufhin ein kostenloses Schlichtungsverfahren, um eine gütliche Einigung zwischen der Reisenden und dem Eisenbahnunternehmen herbeizuführen. Trotz mehrmaliger Vorschläge zur Beilegung des Streits lehnte das Unternehmen die Empfehlungen der Schlichtungsstelle ab und blieb bei seiner Haltung, keine Entschädigung zu zahlen. Angesichts dieser Blockade legte die apf den Fall gemäß § 78a Abs. 6 Eisenbahngesetz der Schienen-Control Kommission (SCK) zur formellen Entscheidung vor. Diese Vorgehensweise ist in Österreich etabliert, um bei Uneinigkeit in Schlichtungsverfahren eine höhere Instanz zur Klärung heranzuziehen.

Die SCK hat nun per Bescheid klargestellt, daß eine gegenüber der planmäßigen Abfahrtszeit um 60 Minuten oder mehr vorverlegte Abfahrt einem Zugausfall gleichzusetzen ist. Dies ist eine entscheidende Interpretation des Eisenbahngesetzes, da es die Rechte der Fahrgäste bei zu frühen Abfahrten denen bei Verspätungen oder Ausfällen angleicht. Die Betroffene hat somit einen Anspruch auf eine Fahrpreisschädigung in Höhe von 25 Prozent des Ticketpreises.

Diese Entscheidung ist in Anlehnung an Regelungen im Flugverkehr und nach Berücksichtigung entsprechender Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ergangen. Im Flugverkehr existieren bereits seit längerem vergleichbare Regelungen, wonach auch sehr frühe Abflüge unter bestimmten Umständen als Annullierung gelten können und somit Entschädigungsansprüche auslösen. Der EuGH hat in verschiedenen Urteilen betont, daß die Reisendenrechte umfassend zu schützen sind und Unannehmlichkeiten, die durch die Fluggesellschaften verursacht werden, zu entschädigen sind. Die SCK hat diese Prinzipien nun auf den Eisenbahnverkehr übertragen. Durch eine deutlich vorzeitige Abfahrt können Fahrgästen Unannehmlichkeiten entstehen, die mit jenen bei einer Verspätung vergleichbar sind – etwa Termine, die nicht wahrgenommen werden können, oder zusätzliche Wartezeiten am Abfahrtsbahnhof, die eine erhebliche Belastung darstellen können.

Der Bescheid der SCK ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig, da das Eisenbahnunternehmen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben hat. Dies ist ein übliches Vorgehen in solchen Fällen und wird zeigen, ob die Rechtsauffassung der SCK auch in nächster Instanz Bestand hat. Ein positives Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes würde die Rechtssicherheit für Reisende weiter erhöhen und Eisenbahnunternehmen dazu anhalten, ihre Fahrpläne noch präziser einzuhalten.

Unabhängige Schlichtung als Pfeiler des Fahrgastrechtes

Die Rolle der Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte (apf) und der Schienen-Control Kommission (SCK) ist in diesem Kontext von entscheidender Bedeutung. Die apf ist die zentrale Anlaufstelle für die außergerichtliche Streitbeilegung im Bahn-, Bus-, Schiffs- und Flugverkehr in Österreich. Sie hilft Fahrgästen im Streitfall mit einem Unternehmen kosten- und provisionsfrei zu ihrem Recht. Diese unabhängige Schlichtungsstelle bietet eine wichtige Alternative zu langwierigen und oft kostspieligen Gerichtsverfahren. Die Existenz solcher Institutionen ist ein Zeichen für einen modernen Verbraucherschutz, der den Reisenden eine niederschwellige Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Rechte bietet.

Die SCK selbst ist eine weisungsfreie Verwaltungsbehörde, die unter dem Vorsitz eines Richters agiert. Ihre Mitglieder sind ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem Verkehrswesen und werden durch die Bundesregierung bestellt. Als Regulierungsbehörde überwacht die Schienen-Control nicht nur die Durchsetzung von Fahrgastrechten, sondern auch den fairen Wettbewerb im Eisenbahnsektor. Dies umfaßt die Prüfung von Netzzugangsentgelten, die Genehmigung von Fahrplänen und die Überwachung der Einhaltung von Vorschriften.

Die jüngste Entscheidung der SCK ist ein klares Signal an die Eisenbahnunternehmen, daß Fahrpläne als verbindliche Verträge mit den Fahrgästen zu betrachten sind. Sie unterstreicht, daß die Pünktlichkeit nicht nur am Zielort, sondern auch am Startpunkt von Bedeutung ist. Reisende verlassen sich auf die angegebenen Abfahrtszeiten für ihre Planung, sei es für Anschlußreisen, Geschäftstermine oder private Verpflichtungen. Eine erhebliche Vorverlegung kann diese Planungen ebenso stark beeinträchtigen wie eine Verspätung.

Für Fahrgäste, die ebenfalls von einer verfrühten Abfahrt betroffen waren und deren Forderungen vom betreffenden Unternehmen abgelehnt wurden, bietet die apf weiterhin ihre kostenlose Unterstützung an. Ein Schlichtungsantrag kann bei der Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte eingereicht werden. Dieser Fall wird voraussichtlich einen wichtigen Meilenstein in der Interpretation der Fahrgastrechte im europäischen Eisenbahnverkehr darstellen und zu einer erhöhten Sensibilität der Verkehrsunternehmen für die Einhaltung der Fahrplanverbindlichkeiten führen.

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