Besonders ab Deutschland meinte Corendon im Sommerflugplan 2022 massiv expandieren zu müssen. Den Großteil des mittlerweile wieder zurückgefahrenen Wachstums bestritt man mit Wetlease-Flugzeugen. Zeitweise war die Anzahl der samt Crews eingemieteten Maschinen gar größer als die eigene Flotte. Nun hat man aber ein heftiges Problem, denn aufgrund der Nichtentrichtung der deutschen Luftverkehrsabgabe wurden Corendon Airlines und die maltesische Tochter Corendon Europe durch das Hauptzollamt Gießen gepfändet. Es geht um rund sechs Millionen Euro, die der türkische Konzern dem deutschen Staat schuldet.
Im Vorjahr legte Corendon gemeinsam mit dem Malta-Ableger Corendon Europe eine neue Strecke nach der anderen auf. Man war in regelrechter Goldgräberstimmung, da man vermutete, dass die Urlaubsnachfrage so hoch sein wird, dass man subjektiv empfunden ab jeder „Milchkanne“ fliegen muss. Gerechnet hat sich das Projekt, zu dem gar ein von Airhub Airlines eingemieteter Airbus A330 zählte, vorne und hinten nicht. Viele Strecken wurden nach wenigen Umläufen wieder eingestellt oder aber erst gar nicht aufgenommen. Der Corendon-Konzern selbst betreibt vergleichsweise wenige Flugzeuge. Daher hat man bei zahlreichen Operators Maschinen samt Besatzungen eingemietet. Somit handelte man sich höhere Kosten ein, denn logischerweise will auch der Subunternehmer Geld verdienen. Der Unterschied: Während der ACMI-Partner unabhängig von der Anzahl der beförderten Passagiere ein fixes Entgelt pro Blockstunde erhält, ist Corendon Airlines als Träger des wirtschaftlichen Risikos von den Ticketeinnahmen abhängig.
Überhastete Expansion mit vielen Wetlease-Flugzeugen
Und genau darin lag das Problem, das zur finanziellen Schieflage der Firmengruppe geführt hat. Man hat schlichtweg die Nachfrage völlig falsch eingeschätzt bzw. Routen von Airports aus angeboten, für die nur wenig bis gar kein Bedarf bestand. Da Corendon traditionell mit Reiseveranstaltern kooperiert war es punktuell gar nicht so einfach die Strecken sofort einzustellen, denn andernfalls wären saftige Vertragsstrafen fällig geworden. So „verbrannte“ man sprichwörtlich das Geld anstatt sich einen Polster für den Winterflugplan 2022/23 zu verdienen. Daraus folgte dann der eher sehr dünne Winterflugplan. Im Sommer 2023 ist das Corendon-Flugangebot ebenfalls nur auf Sparflamme und das hat seinen guten Grund: Der Carrier ist finanziell massiv angeschlagen. In einem Anschreiben von Reiseveranstalter umschreibt man dies damit, dass man sich in einer Restrukturierung befinde, nennt jedoch keinerlei nähere Einzelheiten.
Seit vielen Jahren erhebt die Bundesrepublik Deutschland die so genannte Luftverkehrsabgabe. Diese ist von Anfang an umstritten, denn die Einnahmen sind nicht für Investments in den Verkehrssektor zweckgebunden, sondern fließen ins allgemeine Bundesbudget. Airlines müssen diese Steuer, die pro Passagier berechnet wird, an das Finanzamt abführen. Normalerweise wird diese auf den reinen Flugpreis aufgeschlagen und dann durch die Airline an den Fiskus weitergeleitet. Allerdings: Steuerschuldner ist nicht der Fluggast, sondern die Fluggesellschaft. Rein theoretisch ist es möglich Flugscheine auch ganz ohne Luftverkehrsabgabe weiterzureichen zu verkaufen. Beispielsweise weisen Ryanair und Wizz Air diese nicht explizit aus. Das ändert aber nichts daran, dass diese in jedem Fall durch die Airline entrichtet werden muss. Das Gesetz besagt, dass der Anbieter der Steuerschuldner ist und ob dieser die Luftverkehrsabgabe aus eigener Tasche bezahlt oder dem Passagier abknöpft, ist der jeweiligen Airline selbst überlassen. Da es über das Jahr gesehen um sehr viel Geld geht, wird diese stets weitergereicht bzw. ist im Endpreis einfach schon „eingepreist“.
Rund sechs Millionen Euro an offener Luftverkehrsabgabe
Offensichtlich nahmen es Corendon Europe und Corendon Airlines mit der Bezahlung der Steuerschuld der Luftverkehrsabgabe nicht sonderlich genau. Trotz wiederholter Aufforderungen der deutschen Finanzbehörden floss kein Geld. Diese griffen dann zum harten Mittel der Zwangsvollstreckung und dabei wurde dem deutschen Fiskus nützlich, dass beide Carrier zahlreiche Kunden aus dem Bereich der Reiseveranstalter haben. Man musste also keine Leasingflugzeuge sinnlos an die Kette legen, sondern jene Tour Operator, an die die Pfändungsbeschlüsse zugestellt wurden, dürfen nun nicht mehr an die beiden Fluggesellschaften bezahlen, sondern müssen die gepfändeten Gelder an das Hauptzollamt Gießen überweisen.
Das Portal CH-Aviation.com berichtet unter anderem, dass die Höhe der ausstehenden Luftverkehrsabgabe, die Corendon Europe und Corendon Airlines angehäuft haben rund sechs Millionen Euro ausmachen soll. Dabei stützt man sich auf vorliegende Pfändungsbeschlüsse, die bereits im Dezember 2022 an deutsche Reiseveranstalter ergangen sind. Diese dürfen Forderungen der beiden Fluggesellschaften bis zur im jeweiligen Vollstreckungsbeschluss genannten Summe nicht mehr direkt an die beiden Airlines bezahlen, sondern müssen an das Hauptzollamt Gießen überweisen. Die Summe fließt dann dem deutschen Staat zu und wird von der Steuerschuld abgezogen.
Corendon behauptet, dass Maßnahmen aufgehoben werden
Auch zitiert CH-Aviation.com aus einem Entschuldigungsschreiben, das an die Großkunden von Corendon ergangen ist. In diesem beteuert man unter anderem, dass man seit einigen Monaten „ordnungsgemäß und kontinuierlich fällige Rechnungen bezahlen“ würde und mit den deutschen Behörden in Kontakt stehen würde. Auch behauptet man, dass die „vorläufigen Vollstreckungsmaßnahmen“ bereits aufgehoben worden wären. Im weiteren Verlauf ist die Rede davon, dass das Jahr 2022 für die gesamte Branche schwierig gewesen wäre, man sich in einer Restrukturierung befinde und es bewusst wäre, dass die direkte Zahlung an die beiden Airlines vorläufig untersagt ist. Weiters behauptet der Corendon-Mitarbeiter, dass auch andere Fluggesellschaften von Pfändungen betreffend der Luftverkehrsabgabe betroffen wären. Man nennt aber keine konkreten Namen.
„Solche Maßnahmen sind in der Branche nicht ungewöhnlich oder unbekannt, und Corendon Airlines war und wird nicht die einzige Fluggesellschaft sein, die damit konfrontiert ist“, so der Vertreter von Corendon gegenüber CH-Aviation.com. Weiters behauptet dieser, dass „vorübergehenden Vollstreckungsmaßnahmen einzelner Behörden bereits aufgehoben wurden oder dabei sind, aufgehoben zu werden“.
Bei der Ursachenfindung ist man aber wenig selbstkritisch. Nicht die überhastete Expansion wird als Grund für die offensichtliche finanzielle Schieflage genannt, sondern schwankende Nachfrage, Personalmangel an Flughäfen, der Krieg an die Ukraine sowie Folgewirkungen der Corona-Pandemie. Auch sollen sich gestiegene Treibstoffpreise sowie das Erdbeben in der Türkei negativ ausgewirkt haben. Auf den Umstand, dass man das Streckennetz regelrecht kahlschlagen musste, geht der türkische Konzern in keinem Wort ein.
13 Comments