Fast pünktlich um 16.45h hebt die ATR42 von Sky Express, Flug 060, vom Flughafen Karpathos mit dem Ziel Kasos ab. Die reine Flugzeit beträgt ca. 7 Minuten. Ich bin der einzige Passagier, und das komme öfters vor, meint die Flugbegleiterin.[1]
Immerhin ist sie so nett, dem Besitzer meiner Pension meine Ankunftsdaten durchzugeben. Man kennt sich offenbar. Ihr Angebot kam sehr gelegen, denn der Mann erwartete mich eigentlich am Hafen und nun komme er mit dem Auto zum Flugplatz, ich müsse nur ein paar Minuten warten. Da es auf Kasos kein Taxi gibt, ist eine Abholung sehr praktisch, denn eineinhalb Kilometer in der Gluthitze mit Gepäck zu gehen, ist auch nicht so angenehm.
Sky Express ATR42 am Flughafen Karpathos (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Kasos (knapp 1000 Einwohner) ist eine felsige, eigentlich lebensfeindliche Insel zwischen Karpathos und Kreta. (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Fry, Hauptort auf Kasos, mit überdimensioniertem Hafen (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Flughafen Kasos: Alles da – für 4-5 Flieger pro Woche und 2000 Passagiere im Jahr 2021 (2015 waren es immerhin 9000 – aber bei mehr Flügen, u.a. nach Sitia). (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Kasos: Flieger versus Fähre (Foto: Thomas Ludwig, BSc).
Kasos (66km2) ist eine kleine Kalkinsel im südlichen Dodekanes, zwischen Kreta und Karpathos gelegen. Der Übergang von Fischfang und Landwirtschaft auf Tourismus verläuft sehr schleppend. Gründe sind Wassermangel, die extrem karge Landschaft, kaum vorhandene Strände und die geringe touristische Infrastruktur. Wie man dort Tourismus aufbauen will, erschließt sich dem Besucher nicht. Immerhin: Die wenigen Tavernen sind hervorragend, die Besucherzahl ist gering, die Freundlichkeit dafür extrem.
Neben dem Flug verkehren Fährschiffe mehrmals pro Woche nach Sitia (Kreta), Karpathos und Athen. Und dann gibt es noch diesen seltsamen Flug, einen der kürzesten überhaupt. Es handelt sich dabei um einen „Gemeinwirtschaftlichen Flug“, bei dem kommerzielle Erwägungen keine Rolle spielen.
Strukturschwache Räume
Besonders seit Ende des 20. Jh. sieht die EU den Ausbau der Infrastruktur als gemeinwirtschaftliche Aufgabe – dazu zählt u.a. auch der Luftverkehr und dessen Förderung in strukturschwachen Gebieten, in denen Leistungen aus rein kommerziellen Erwägungen privat nicht angeboten werden.
Die strukturschwachen Räume werden von den Staaten definiert und von der EU beurteilt (vgl. Amtsblatt der EU,2017/C 194/01) Da gewisse Dienstleistungen aus marktwirtschaftlichen Gründen fehlen, ist es ist nötig, einen wirtschaftlichen Ausgleich zu schaffen. Dieser kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden, etwa durch Gewährung von Monopolen, durch Ausgleichszahlungen oder Auftragsleistungen.
Im Schienenverkehr werden gemeinwirtschaftliche Aufgaben durch Aufrechterhaltung von Nebenbahnen oder die Tarifgestaltung im Nahverkehr schon lange erfüllt. Im Luftverkehr können die Mitgliedstatten in Rand- oder Entwicklungsgebieten gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen, finanziell fördern und von der EU Ausgleichszahlungen erhalten.
Diese Verpflichtungen betreffen im Flugverkehr sowohl die Zahl der angebotenen Plätze als auch die Kontinuität (damit ist der Flug nach Kasos mit nur einem Passagier erklärt). Die Preisgestaltung ist wenig variabel (der Flug kostete den Fixpreis von 50€1, es gibt aber saisonale Unterschiede und Ermäßigung für Einheimische).
Nach Ausschreibung der gemeinwirtschaftlichen Strecken wird ein Vertrag zwischen Fluglinie und Staat meist für fünf Jahre abgeschlossen, in dem die Leistungen, die Verbindungen und die Zahl der angebotenen Sitzplätze genau definiert und Monopolstellung gewährt wird. Es herrscht Betriebspflicht, auch wenn nur ein Paket zu transportieren ist. Da meist nur eine geringe Sitzplatzanzahl gefordert und somit gefördert wird, sind bei Ausschreibungen natürlich Fluglinien, die über kleines Gerät verfügen, im Vorteil.
Bei Durchführung gemeinwirtschaftlicher Flüge spielen Slots auf größeren Flughäfen keine Rolle: Die Fluglinie kann die Flugplangestaltung dieser Flüge nach eigenem Ermessen gestalten und erhält die entsprechenden Slots. Auf kleinen Flugplätzen sind die Slots natürlich kein Problem, in Athen hingegen schon. (vgl. C194/1/2017, Pkt.34)
Es erhebt sich aber die Frage, wieweit diese Dienstpflicht nicht durch andere Verkehrsträger erreicht werden kann. Auskünfte, ob diese extrem kurze Flugstrecke nach Kasos wirklich entwicklungsbedingt notwendig ist, waren in Griechenland nicht zu erhalten und werden von der EU offenbar nicht hinterfragt – ebenso wenig wie die Frage, ob sich Räume wie dieser als ganzjähriger Lebensraum überhaupt eignen.
Nach EU Verordnung 1008/2008 wäre ein Kriterium für eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung eine Randlage eines Gebietes, „das von der Hauptstadt oder anderen Großstädten des betreffenden Mitgliedsstaates nur schwer zu erreichen ist.“ Da wäre doch wohl eine Verbindung Kasos – Athen angebrachter als von Kasos zu Nachbarinseln!
Für die lokale Bevölkerung von Kasos (knapp 1000 Ew.) spielt die Flugverbindung nach Karpathos und Rhodos keine Rolle. Für Arztbesuche, Behördenwege, Schulbesuche wird die Fähre genommen, die wenigen Touristen bevorzugen ebenfalls die billigeren Schiffsverbindungen.
Sonderfall Kastellorizo
Anders sieht die Situation bei der ganz im Südosten Griechenlands gelegenen Insel Kastellorizo (griechisch auch Megisti) aus. Auf dieser nur 9 km2 großen, knapp 3 km von der türkischen Küste entfernten Insel leben heute nur 490 Personen. In der Vergangenheit erlangte die Insel durch einen Stützpunkt der Johanniter eine gewisse Bedeutung, bis zum 20. Jh. wechselten die Herrschaften häufig. Seit 1947 ist die Inselgruppe bei Griechenland und bildet weit abgelegen den östlichsten Punkt des Landes.
Die Olympic Dash 100 ist gerade auf Kastellorizo angekommen. Der Flugplatz wurde 1986 eröffnet und zählte vor der Pandemie 5000 bis 9000 Passagiere pro Jahr. (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Kastellorizo Airport: klein, aber voll ausgestattet. Für die Sicherheitskontrolle kommt der Dorfpolizist.(Foto: Thomas Ludwig, BSc). Die blaue Grotte auf Kastellorizo toppt die von Capri bei weitem – und es sind wesentlich weniger Besucher dort (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Der Ort Kastellorizo: Mit geschenktem Geld lässt es sich gut renovieren…. (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Vor ca. 100 Jahren lebten bis zu 20.000 Menschen auf Kastellorizo – dann kamen die Katastrophen in Form von Kriegen, Erdbeben und Feuer (Foto: Thomas Ludwig, BSc). Gemeinwirtschaftlicher Bordservice zwischen Rhodos und Kastellorizo. Man verdurstet und verhungert in den 30 Minuten nicht (Foto: Thomas Ludwig, BSc).
Vor hundert Jahren gab es noch 20.000 Einwohner, doch Kriege, Erdbeben, Feuer, Wassermangel und Perspektivlosigkeit trieben die meisten Menschen in die Emigration, vor allem nach Kanada und Australien. Zudem erhebt die Türkei auf die Inseln vor ihrer Küste Anspruch. Eine Okkupation dieses winzigen Eilandes würde wohl nur mäßige internationale Proteste hervorrufen, daher zeigt Griechenland auf dieser Insel mehrfache Präsenz: Einerseits militärisch (nicht ganz im Sinne des Vertrags von Lausanne 1923, aber irgendwie verständlich), andererseits bemühte man sich seit 1990 erfolgreich durch massive Investitionen und Hebung des Lebensstandards um eine Rückwanderung der Emigranten oder deren Kinder. Englisch mit australischem Akzent ist auf der Insel mit den durch großzügige stattliche Hilfe bestens renovierten Häusern daher weit verbreitet.
Barbara, Tochter einst nach Australien ausgewanderter Inselbewohner, jetzt aber zurückgekehrt, betreibt mit ihrem Mann ein Bootsunternehmen und veranstaltet Ausflüge in die „blaue Grotte“, eine Top-Attraktion der Insel, und in die Türkei. Mit 66% staatlichen Zuschüssen renovierten sie ein Haus und gründeten den Betrieb. Die Kinder gehen in die örtliche Schule, die Klassen vom Kindergarten bis zur Matura anbietet (oft nur mit 1-3 Schülern pro Klasse).
„Allerdings“, meint sie, „gibt es oft Probleme mit den Lehrkräften, denn einige geben im Winter trotz des gut dotierten Vertrags auf und flüchten zurück auf das Festland, weil sie den ständigen Wind und die extreme Abgeschiedenheit nicht aushalten.“ Der fehlende Lehrstoff muss dann später, wenn überhaupt, blockweise nachgeholt werden. Das wäre auch der Grund, warum manche Eltern ihre (älteren) Kinder doch lieber ins Internat nach Rhodos schicken.
Auch von Kastellorizo gibt es mehrmals pro Woche gemeinwirtschaftliche Flüge nach Rhodos (von Olympic mit Dash8 – 100 bedient) mit der ursprünglichen Idee, Inselbewohnern Arztbesuche oder Behördenwege in der Hauptstadt des Dodekanes zu erleichtern. Auch hier werden die Flüge (Preis um die 50€ für 45 Minuten nach Rhodos inkl. Gepäck) von den Einheimischen kaum angenommen. Ein lokales Fährschiff nach Rhodos kostet für sie nur ebenfalls geförderte 3 €. Eine notwendige Übernachtung in Rhodos wird unter gewissen Umständen subventioniert[2]
Auch die Reisen aus medizinischen Gründen halten sich heute in Grenzen: Der griechische Staat eröffnete auf der Insel ein Minikrankenhaus mit einigen Fachärzten. Wahrscheinlich reisen die Fachärzte mit dem Flieger für einige Tage auf die Insel. Und im Notfall kommt der Helikopter. Auch Bank und Post, die in vielen kleinen griechischen Orten wie überall in Europa längst geschlossen sind, gibt es auf der Insel nach wie vor.
Dieser gemeinwirtschaftliche Flug wird hauptsächlich von Touristen frequentiert, die die merkwürdige Insel erkunden und sich den Nervenkitzel der nur 798m langen Landebahn geben wollen. Wegen der kurzen Piste ist die Dash8 – 100 beim Abflug aus Gewichtsgründen nur mit max. 25 Personen besetzt. Der kleine Flughafen ist mit Check-in Personal, Feuerwehr und Bodendienst voll ausgestaltet. Zu tun gibt es aber nicht viel. Eine regionale Strukturförderung über den Tourismus ist hier klar zu erkennen.
Viele andere Inseln in Griechenland sind ebenfalls mit Flügen gemeinwirtschaftlich erschlossen; die großen Inseln wie Kreta (Ausnahme: die Stadt Sitia), Rhodos oder Korfu werden hingegen nach kommerziellen Gesichtspunkten bedient und sind auch nicht monopolisiert.
Über 170 Strecken sind in den Mitgliedsstaaten der EU als gemeinwirtschaftlich gekennzeichnet, nicht alle werden bedient, weil sich kein Betreiber gefunden hat. Vor allem Inselstrecken werden oft gemeinwirtschaftlich betrieben, nicht nur in Griechenland, auch in Italien und Spanien, aber auch in Nordeuropa. 12 Mitgliedsländer machen derzeit von dieser Förderungsstrategie Gebrauch.
Bei einigen gemeinwirtschaftlichen Strecken ist der Zweck durchaus zu erkennen, bei einigen anderen Verbindungen stellt sich jedoch wie bei Kasos die Frage: Ist das wirklich sinnvoll? Wäre die Fähre nicht die bessere Alternative? Und ist jede noch so kleine Insel als Dauerlebensraum wirklich geeignet?
[1] Angaben gelten für 23.6.2022
[2] Zahlen Juni 2022
Dieser Beitrag wurde verfasst von: Mag. Wolfgang Ludwig (Geograf und Journalist).