Special: Berlin-Tempelhof im Schatten der BER-Eröffnung

Tempelhof-Schriftzug auf der ehemaligen Airside (Foto: Granit Pireci).
Tempelhof-Schriftzug auf der ehemaligen Airside (Foto: Granit Pireci).

Special: Berlin-Tempelhof im Schatten der BER-Eröffnung

Tempelhof-Schriftzug auf der ehemaligen Airside (Foto: Granit Pireci).
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Am 31. Oktober 2020 startete in Berlin mit der Eröffnung des BER eine neue Ära. Doch die Geschichte der deutschen Luftfahrt, aber auch jene der Lufthansa, kann ohne den ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof (THF) nicht erzählt werden. Die imposante Architektur des „Zentralflughafens“ ist das Produkt der Gigantomanie der Nationalsozialisten.

Stellt man Tempelhof in den Fokus, so muss eingangs darauf hingewiesen werden, dass das Areal eine sehr dunkle Vergangenheit hat, denn es fand sich dort mit dem KZ Columbia nicht nur ein Konzentrationslager, in dem tausende Menschen gepeinigt wurden und unzählige ihr Leben verloren haben, sondern Zwangsarbeiter mussten unter unmenschlichen und unwürdigen Bedingungen für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft arbeiten. Viele verloren ihr Leben, was jeder Besucher dieses Airports im Hinterkopf haben muss.

Die Geschichte des Tempelhofer Flughafens in seiner heutigen Bausubstanz ist äußerst wechselhaft, hatte jedoch für die Bevölkerung auch positive Höhepunkte. Während der Zeit der Blockade Berlins durch die DDR und die Sowjetunion nutzten die Alliierten diesen Flughafen – nebst Tegel und Gatow – für die Luftbrücke, die auch als „Rosinenbomber“ in die Geschichte eingegangen ist. Wenn die westlichen Siegermächte dieses logistische Meisterwerk nicht in die Luft gebracht hätten, dann hätte die Geschichte West-Berlins mit hoher Wahrscheinlichkeit einen anderen Verlauf genommen. Insofern hat Tempelhof der Bevölkerung West-Berlins einen großen Dienst geleistet und diese vor dem Verhungern und Erfrieren bewahrt, denn die Alliierten flogen alles, das zum Leben benötigt wurde und im Westen der Stadt nicht produziert werden konnte, ein. Das unfassbare Leid, das auf dem Tempelhofer Flugfeld zur Zeit der NS-Diktatur geschehen ist, ist unentschuldbar und mit absolut nichts wiedergutzumachen, aber THF konnte während der Zeit der Luftbrücke zumindest nützlicher sein als eine nutzlos herumstehende gigantomanische Nazi-Hinterlassenschaft, auf der unfassbares Leid lastet.

Kurzzeitig größtes Gebäude der Welt

Der Zentralflughafen ab 1941 für zwei Jahre mit 307.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche das größte Gebäude der Welt, ehe es vom Pentagon abgelöst wurde. Die Gesamtlänge des Komplexes beträgt rund 1,2 Kilometer und ist damit bis heute eines der längsten zusammenhängenden Gebäude der Welt. Da kann der neue Flughafen BER schlichtweg nicht mithalten. Eigentlich hätte Tempelhof durchaus perfekte Voraussetzungen gehabt, um als Berliner Großflughafen zu fungieren. Genau das hatten die Nationalsozialisten auch vor, jedoch regelrecht hirnrissig als Welt-Hauptstadtflughafen. Um diesem aggressiven Anspruch zu untermauern wurde auf das Dach der Haupthalle ein riesiger Reichsadler montiert. Dieser trug eine Weltkugel mit Hakenkreuz in seinen Fängen. Das etwas verstörend wirkende „Kunstwerk“ wurde nach dem Krieg entnazifiziert und der Kopf des Adlers wurde später zum Symbol der Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland. Dieser wurde vor einigen Jahren vor dem Airport aufgestellt, allerdings mit einer Hinweistafel, die genau erklärt aus welchem Grund ein Reichsadler-Kopf mitten in Berlin steht.

Die Nazis haben den gesamten Tempelhof-Komplex mit ihrem speziellen Vogel vollgepflastert. Nahezu alle sind bis heute vorhanden und stehen – wie alles andere auch – unter Denkmalschutz. Selbstverständlich wurden unmittelbar nach dem Ende der Schreckensherrschaft die Hakenkreuze entfernt oder aber besonders hartnäckige Exemplare mit Beton überdeckt.

Tempelhof ist ein Flughafen, der in einer dunklen Zeit der deutschen Geschichte gebaut wurde und spiegelt bis heute die Gigantomanie wieder. Damals war der Airport völlig überdimensioniert, jedoch hat man verschiedene Nutzungszwecke gleich eingeplant. Die damalige Lufthansa unterhielt hier ihre Zentrale, die vielen Räumlichkeiten, die für den eigentlichen Flugbetrieb gar nicht benötigt wurden, sollten alles, das mit Luftfahrt zu tun hat, hier vereinigen. Nebenbei unterkellerte man das Areal und baute Schutzbunker ein. Bedenkt man dabei, dass der Bau schon im Jahr 1936 begonnen hat, war es aus damaliger Sicht schon fraglich warum man ein Tor zur Welt baut, das gleichzeitig zahlreiche Schutzbunker unter sich birgt. Aus heutiger Sicht ist klar warum: Der Krieg wurde schon von Anfang an eingeplant. Die Tempelhof-Bunker waren während dem Luftkrieg um Berlin ein wichtiger Zufluchtsort für die lokale Bevölkerung, insbesondere für Kinder. Um diesen die Angst zu nehmen, wurden viele Wilhelm-Busch-Zeichnungen angebracht.

Nazis wollten das Dach als Tribüne „missbrauchen“

Wer sich fragt wozu eigentlich das Airside-Dach in Tempelhof wirklich diente, irrt mit der Vermutung, dass Flugzeuge „trocken“ stehen können. Zahlreiche Treppenhäuser führen direkt „nach oben“. Die Nazis wollten Tempelhof auch für Propaganda-Veranstaltungen „missbrauchen“. Somit hätte das Dach als riesige Tribüne dienen sollen. Von dieser aus hätten NS-Anhänger den Reden des Führers zuhören sollen.

Tempelhof zog sich im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise nur geringe Schäden zu. Allerdings wurde der Komplex nie fertiggestellt. Zahlreiche Pläne wurden nach dem Krieg nicht mehr umgesetzt oder sogar der Innenausbau wurde unterlassen bzw. erst viele Jahre später umgesetzt. Wer aber glaubt, dass Tempelhof ein „Lost Place“ ist, irrt. Der Flugbetrieb ist für immer beendet, doch im riesigen Komplex sind derzeit etwa 80 Prozent der Räumlichkeiten vermietet. Größter Mieter ist die Berliner Polizei, die etwa 40.000 Beamte an diesem Standort beschäftigt. Auch die Dekra zählt zu den Großnutzern.

Der Airport wurde nach dem Krieg zunächst militärisch genutzt und zwar von den Streitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika. Diese hatten kein Verständnis dafür, dass sich quasi direkt über der Haupthalle ein pompöser Festsaal für Staatsempfänge befand. Die Amerikaner machten daraus eine Basketballhalle und errichteten auch weitere Sportstätten. in der Basketballhalle fanden die Heimspiele der Militärmannschaft statt und nach deren Abzug wurde diese auch von lokalen Vereinen genutzt. Bei Führungen durch den Flughafen Tempelhof kann all dies besichtigt werden und jedem, der sich für Luftfahrt, Architektur, Geschichte oder die Zeit des kalten Kriegs interessiert, sollte bei einem Berlin-Trip nicht auf diese Tour vergessen. Selbstverständlich gibt es sehr viel zu sehen, das die Amerikaner hinterlassen haben, zum Beispiel einen noch fast vollständig eingerichteten Verhörraum.

Wichtigster Flughafen Berlins ab 1950

Die Erlaubnis zur zivilen Mitbenützung wurde seitens der Amerikaner am 1. Juli 1950 erteilt. Die Haupthalle wurde damals aber nicht genutzt, da diese noch im Rohbau war und einige Kriegsschäden hatte. Ein Provisorium, das später als General Aviation Center diente, war das „erste THF-Terminal“. Dieses war auch schon damals sehr klein. Die Fluggesellschaften Pan Am, British European und Air France waren die ersten Airlines, die Linienflüge nach dem Krieg von/nach Berlin-Tempelhof angeboten haben. Der Flugverkehr steigerte sich stetig und die Amerikaner gaben nach und nach weitere Teile für die zivile Nutzung frei.

Am 2. Juli 1962 war es dann so weit: Die eigentliche Haupthalle wurde ihrem Zweck übergeben und diente als Passagierterminal. Allerdings wurde die so genannte „Ehrenhalle“ durch das Einziehen einer Zwischendecke „entschärft“. Bei Führungen kann der „versteckte“ Teil allerdings besichtigt werden. Man wollte damals die Gigantomanie nicht so sehr zum Ausdruck bringen. Tempelhof war in den 1960er Jahren einer der modernsten Flughäfen der Welt, doch schon 1970 war die Kapazitätsgrenze erneut erreicht. Zwar konnte man durch die Nutzung weiterer bislang gesperrter Bereiche für Linderung sorgen, doch die Amerikaner zogen 1975 die entsprechende Erlaubnis zurück. Die Folge daraus war: Der zivile Luftverkehr Berlins zog nach Tegel um. Anschließend war Tempelhof rein militärisch.

Nach der Schließung gab es ein Comeback

Das zivile Comeback folgte im Jahr 1981. Zunächst wurde das General Aviation Center wiedereröffnet und nach und nach wurden auch Linienflüge zugelassen. Das Aufkommen steig so rasant an, dass die Berliner Flughäfen am 16. Dezember 1990 die Haupthalle wieder in Betrieb genommen haben. Der Airport wurde nach und nach modernisiert, um ihn auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen. Doch so wirklich glücklich war man mit dieser Entscheidung im Berliner Senat nie, denn bereits 1995 ging die Diskussion um die endgültige Stilllegung von Tempelhof los.

Im Jahr 1993 ging der THF an die Berliner Flughäfen über und die Amerikaner zogen ab. In den folgenden Jahren entwickelten sich die Fluggastzahlen zunächst gut, aber der Rekord aus dem Jahr 1973 mit über vier Millionen Reisenden wurde nie wieder erreicht. 1993 waren es immerhin noch 1.124.822 Passagiere, doch Airlines wurden nach und nach zum Umzug nach Schönefeld und Tegel gedrängt. Dies zum Teil mit Rabatten. Tempelhof wurde künstlich defizitär gemacht und dem Airport keine Zukunft gegeben.

Im Jahr 2003 wollte der Berliner Senat den Flughafen schließen, jedoch im September 2004 kippte ein Gericht den Bescheid. Mehrere Fluggesellschaften, darunter die österreichische Intersky, ergriffen Rechtsmittel, die letztlich dazu führen, dass Tempelhof erst am 30. Oktober 2008 zugesperrt wurde. Zuvor gab es noch einige interessante Anläufe, um der Politik zu signalisieren, dass die Schließung von Tempelhof der falsche Weg ist: Unter der Eigentümerschaft von Hans Rudolf Wöhrl nahm die DBA (vormals: Deutsche DBA) zahlreiche Routen ab diesem Airport auf und auch der Mitbewerber Germania nutze Tempelhof verstärkt mit Fokker 100. Sogar Easyjet wollte in Tempelhof eine Basis errichten, jedoch überredeten die Berliner Flughäfen die Briten und brachten sie dazu in Schönefeld zu starten.

InterSky-Logo steht unter Denkmalschutz

In den letzten Jahren war es in Tempelhof recht ruhig, doch beispielsweise Cirrus Airlines, Brussels Airlines und InterSky nutzen den Zentralflughafen bis zum letzten Tag. Fast ein wenig verstörend wirkte, dass am letzten Betriebstag einige Airlines, darunter Germanwings und die LTU Sonderflüge ab THF angeboten haben. Dies insofern: Air Berlin zog das komplette DBA-Flugangebot aus Tempelhof ab und verlagerte es nach Tegel und das schon sehr bald nach der Übernahme.

Seit der Schließung, die am 30. Oktober 2008 erfolgte, ist Tempelhof ein ehemaliger Flughafen im Dornröschenschlaf. Alles steht unter Denkmalschutz und darf nicht verändert werden. So entsteht doch sehr der Eindruck, dass gerade nur Feierabend ist und am nächsten Morgen wieder geflogen wird. So ist es aber nicht. Die Haupthalle wird übrigens häufig – und auch derzeit – für Ausstellungen genutzt. Die ehemaligen Gate-Bereiche sind jedoch nur im Rahmen von Führungen oder mit Erlaubnis der städtischen Projektgesellschaft zugänglich.

Tempelhof ist Geschichte, aber lebt indirekt im BER weiter, denn einige Merkmale der Architektur, beispielsweise imposante Säulen und Marmor, sind bewusst an Tempelhof angelehnt. Selbstverständlich aber zeitgemäß und nicht erdrückend und gigantomanisch wie es die NS-Erbauer in Tempelhof getan haben. Übrigens: Die Logos von InterSky, Cirrus Airlines und aller anderen Anbieter, die bis zum Schluss in THF tätig waren, stehen unter Denkmalschutz und dürfen nicht entfernt werden.

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