Willie Walsh, Generaldirektor der International Air Transport Association (Iata), hat die internationale Politik und insbesondere die Europäische Union scharf kritisiert, weil sie beim Ausbau nachhaltiger Flugkraftstoffe (SAF) seiner Ansicht nach versagen.
Auf der Jahrestagung der Luftfahrtorganisation, die vom 1. bis 3. Juni 2025 in Neu-Delhi stattfand, warf Walsh den Regierungen vor, trotz ambitionierter Zielvorgaben keinen tragfähigen politischen Rahmen zur Förderung von SAF zu schaffen. Er sprach von einem „grünen Betrug“ und warnte eindringlich, daß die Luftfahrtbranche ohne die dringend benötigte staatliche Unterstützung das für 2030 angestrebte Ziel zur Emissionsreduktion im Luftverkehr nicht erreichen könne. Walsh betonte, daß die Umsetzung der Klimaziele blockiert werde, da es an den nötigen industriepolitischen Impulsen fehle.
Die zentrale Rolle von nachhaltigen Flugkraftstoffen
Nach Auffassung der Iata stellen nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) derzeit den einzigen gangbaren Weg dar, um die Emissionen im Luftverkehr in nennenswertem Umfang zu senken. Trotz dieser elementaren Bedeutung hätten sich Politik und Regierungen laut Walsh weitgehend aus ihrer Verantwortung gezogen. Er erinnerte daran, daß von Beginn an klar gewesen sei, wie schwierig die Umstellung auf SAF ohne substanzielle staatliche Förderung werden würde. Regierungen hätten es bis heute versäumt, einen umfassenden und verläßlichen Rahmen zu schaffen, der es der Industrie ermöglichen würde, die gesteckten Ziele für 2030 zu erreichen. Die Iata hatte sich im Jahr 2021 dazu verpflichtet, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, und SAF wird dabei eine entscheidende Rolle zugeschrieben.
Die Europäische Union hatte im Rahmen ihres „Fit for 55“-Pakets und der „ReFuelEU Aviation“-Initiative verbindliche Quoten für die Beimischung von SAF zu konventionellem Kerosin festgelegt. Ab Januar 2025 ist für alle Flüge, die innerhalb Europas starten, eine Beimischung von mindestens zwei Prozent SAF gesetzlich vorgeschrieben. Dieser Anteil soll bis 2030 auf fünf Prozent und bis 2050 auf 70 Prozent ansteigen. Zusätzlich ist ein Anteil synthetischer Kraftstoffe (Power-to-Liquid, PtL) von 1,2 Prozent ab 2030 vorgesehen. Diese ambitionierten Vorgaben stehen jedoch in starkem Kontrast zur Realität der Verfügbarkeit und der Kosten von SAF. Die Iata zweifelt, daß diese Ziele ohne flankierende Maßnahmen erreichbar sind.
Rückzug der Industrie und explodierende Kosten
Als direkte Folge der fehlenden politischen Unterstützung sieht Walsh eine sinkende Investitionsbereitschaft bei großen Anbietern von Flugkraftstoffen. Konzerne wie Shell oder BP hätten ihre Investitionen in die Entwicklung und Produktion von SAF bereits reduziert oder Projekte pausiert. BP beispielsweise stoppte im April 2025 den Ausbau eines Biokraftstoffprojekts zur Produktion von SAF in seiner Ölraffinerie im spanischen Castellón mit der Begründung, das Marktwachstum sei schwächer als erwartet. Parallel dazu müssen Fluggesellschaften laut Walsh bis zu doppelt so viel für nachhaltige Treibstoffe zahlen wie für herkömmliches Kerosin. Er bezeichnete dies als einen „Skandal“, da die aktuelle Situation einen wirtschaftlich tragfähigen Markt für SAF verhindere.
Die hohen Kosten für SAF stellen eine erhebliche Belastung für die Fluggesellschaften dar. Die Lufthansa Group rechnet allein für die 2-Prozent-Vorgabe im Jahr 2025 mit Mehrkosten von rund 300 Millionen Euro. SAF der nächsten Generation ist nach Angaben von Austrian Airlines sogar noch um bis zu zehn Mal teurer als fossiles Kerosin. Diese Preisdifferenz, kombiniert mit dem Mangel an staatlicher Förderung für den Markthochlauf, erschwert den Fluggesellschaften die Erfüllung der Quoten erheblich. Zudem gibt es Herausforderungen bei der Verfügbarkeit, da die derzeitige Produktionsmenge von SAF weltweit lediglich etwa fünf bis zehn Prozent der im Luftverkehr vertankten Kerosinmenge entspricht. Obwohl für 2030 eine Produktionsmenge von fast 30 Millionen Tonnen SAF weltweit angekündigt ist, sind viele Projekte noch in der Entwicklung und erfordern erhebliche Investitionen.
Klimaziel 2030 in Gefahr und die Forderung nach politischem Umdenken
Die Iata geht davon aus, daß selbst das moderate Klimaziel der Branche für 2030 – eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um fünf Prozent – voraussichtlich verfehlt wird. Ohne eine verläßliche Förderung von SAF und ohne klare industriepolitische Impulse sei dieses Ziel nicht mehr realistisch. Walsh fordert daher ein Umdenken auf politischer Ebene: „Wenn man ernsthaft eine Transformation will, muß man auch den Rahmen dafür schaffen.“ Der Verband warnt davor, die Verantwortung für die Emissionsreduktion allein auf die Airlines abzuwälzen. Ohne planbare Marktbedingungen drohten Wettbewerbsnachteile für die Fluggesellschaften, steigende Kosten für Passagiere und erhebliche Verzögerungen bei der dringend notwendigen Emissionsreduktion.
Experten aus der Luftfahrtbranche und Forschungsinstitute wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) weisen ebenfalls auf die Notwendigkeit politischer Unterstützung hin. Sie betonen, daß der Ausbau der SAF-Produktion und die damit verbundene Skalierung nur durch gezielte politische Maßnahmen und Anreize gelingen können. Dazu gehören beispielsweise Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer Produktionstechnologien, steuerliche Vergünstigungen für die Herstellung und Nutzung von SAF sowie die Schaffung einer stabilen Nachfrage durch verbindliche Quoten, die jedoch durch eine ausreichende Verfügbarkeit und wettbewerbsfähige Preise flankiert werden müssen. Der Appell von Willie Walsh verdeutlicht die Dringlichkeit, mit der die Luftfahrtbranche politische Unterstützung für den Ausbau nachhaltiger Flugkraftstoffe fordert, um die ambitionierten Klimaziele überhaupt erreichen zu können.