Der Sommer 2022 neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu. Für viele Rechtsanwälte und Richter geht es aber erst so richtig los, denn aufgrund des kundenfeindlichen Verhaltens vieler Fluggesellschaften landen zahlreiche Fälle vor Gericht. So viele, dass manche deutsche Amtsgerichte regelrecht überlastet sind.
Eigentlich sind die Pflichten der Carrier klar und deutlich in der Fluggastrechteverordnung geregelt. Dazu kommt, dass es enorm viele höchstrichterliche Entscheidungen gibt, so dass in den meisten Fällen eigentlich glasklar sein sollte, dass die Fluggesellschaft beispielsweise Ausgleichsleistungen, Unterkunftskosten oder Kosten für Ersatzbeförderungen bezahlen muss. Das sehen aber enorm viele Carrier, anders, denn es wird in vielen Fällen einfach gar nicht bezahlt und darauf spekuliert, dass der Fluggast einfach aufgibt.
Die Überlegung dahinter ist simpel: Je mehr Passagiere man um ihnen zustehende Gelder umfallen lässt, desto niedriger sind die Kosten. Zu diesem „Trick“ greifen aber nicht nur Billigfluggesellschaften, sondern auch selbsternannte „Premium-Carrier“, von denen manche Reisende glauben, dass bei diesen alles einfacher ist, „wenn mal etwas schiefgeht“. Doch dieser Sommer zeigt neuerlich, dass auch vermeintliche „Premium-Anbieter“ ihre Passagiere einfach sitzen lassen und sich dann auch noch vor Ausgleichsleistungen und dem Ersatz von Auslagen drücken wollen.
Bedingt dadurch, dass immer mehr Menschen Kenntnis von der Fluggastrechteverordnung haben und entweder über eine Rechtsschutzversicherung verfügen oder aber sich an provisionsbasierte Eintreiber wenden, landen immer mehr Fälle vor Gericht. Anwaltsbriefe werden von vielen Fluggesellschaften ebenfalls ignoriert oder mit fadenscheinigen Ausreden zurückgewiesen. Somit müssen die Betroffenen vor Gericht darum kämpfen, dass ihnen zustehende Gelder auch tatsächlich ausbezahlt werden.
In diesem Jahr zeigt sich erneut, dass bei gestrichenen Flügen die gesetzlich vorgesehene Rückzahlungsfrist von sieben Tagen nicht eingehalten wird. Manche Anbieter stellen automatisiert Zwangsgutscheine aus und stellen sich bei Ablehnung und Aufforderung zur Auszahlung regelrecht taub. Auch auf die Eintreibung solcher Gelder haben sich mittlerweile einige Anbieter spezialisiert, so dass noch mehr Fälle vor Gericht landen.
Politik diskutiert Ende der Vorauskasse-Praxis
Das Ausmaß des Fehlverhaltens der Fluggesellschaften ist mittlerweile so extrem, dass in Deutschland auf Regierungsebene darüber diskutiert wird, ob man die bisherige Vorkassepraxis abschaffen sollte. Konsumentenschutzverbände fordern dies bereits seit einigen Jahren, jedoch nahm die Debatte erst heuer richtig an Fahrt auf. Selbstredend versucht die Branche zu verhindern, dass man erst beim Check-in-Schalter bezahlen muss. Allerdings tut man sich mit dem kundenfeindlichen Verhalten auch keinen Vorteil, um der Diskussion Wind aus den Segeln zu nehmen.
Das ARD-Magazin „Report Mainz“ hat zwölf deutsche Amtsgerichte, die für wichtige Abflugsorte zuständig sind, zum aktuellen Aufkommen aus dem Luftfahrtbereich befragt. Dabei zeigte sich, dass das Amtsgericht Erding regelrecht von Klagen gegen Airlines überschwemmt wird. Rund 90 Prozent der Verfahren sollen Klagen von Passagieren betroffen. In Königs-Wusterhausen, das für den Flughafen Berlin-Brandenburg zuständig ist, ist die Situation kaum anders: 83 Prozent der zivilen Fälle betreffen Klagen von Passagieren.
Das Magazin berichtet weiters, dass die Zivilgerichte erster Instanz rund 100.000 Fälle pro Jahr verhandeln müssen. Das Gesamtaufkommen soll in etwa zehn Prozent aller Zivilfälle betreffen. Anders ausgedrückt: Etwa jede zehnte Verhandlung vor deutschen Amtsgerichten betreffen Klagen von Passagieren, die ihnen zustehende Gelder von Airlines einklagen müssen, da diese nicht bezahlen wollen oder einfach alle vorherigen Bemühungen ignorieren.
Massengeschäft für Anwälte
Für Rechtsanwälte ist das Verhalten der Anbieter natürlich ein nettes Zubrot. Da im Regelfall der Streitwert recht niedrig ist, verdient man am Einzelfall nicht sonderlich viel. Allerdings macht es die Masse, denn ein Jurist erklärte gegenüber Aviation.Direct, dass allein er pro Woche mindestens drei Fälle betreffend der Fluggastrechte und/oder nicht geleisteter Ticketerstattungen vor Gericht verhandeln muss. Aufgrund der Vielzahl der Fälle verdiene man über die Masse ganz gut.
Laut Report Mainz sollen derzeit am Amtsgericht Köln die meisten Klagen gegen Fluggesellschaften eingereicht worden sein. Das ist auch nicht verwunderlich, denn dieser Airport brillierte während der Sommerferien des Bundeslands Nordrhein-Westfalen mit Chaos und besonders langen Wartezeiten vor der Sicherheitskontrolle. In Frankfurt rechnet man damit, dass es im Herbst zu einer regelrechten Klagewelle kommen wird.
Unter dem Strich soll stehen, dass viele deutsche Amtsgerichte aufgrund der vielen Klagen gegen Airlines regelrecht überlastet sind und es dadurch in anderen Fällen zu Verzögerungen kommt. Dahinter steckt auch der Umstand, dass jede Passagierklage einzeln verhandelt werden muss. Laut Flightright sollen etwa 50 Prozent aller Fälle vor Gericht landen, da die Airlines außergerichtlich nicht bezahlen wollen. Derzeit ist es nicht möglich, dass die Ansprüche pro Flug zusammengelegt und in einem Sammelverfahren verhandelt werden.
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