Die Amerikaner kommen

Kleine Inseln sind Problemräume. Auf Nisiros kommt noch der Vulkan dazu, der derzeit aber (Foto: Wolfgang Ludwig).
Kleine Inseln sind Problemräume. Auf Nisiros kommt noch der Vulkan dazu, der derzeit aber (Foto: Wolfgang Ludwig).

Die Amerikaner kommen

Kleine Inseln sind Problemräume. Auf Nisiros kommt noch der Vulkan dazu, der derzeit aber (Foto: Wolfgang Ludwig).
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Am Ende des Urlaubs denken sich viele Griechenlandreisende: „Schön war´s“. Einige wollen vielleicht „irgendwann“ dort bleiben, wie seinerzeit S.T.S. Aber ist das „Lebensg’fühl“, das man „dort inhaliert“, wirklich so toll? Junge Griechen denken da anders.

Auf einer Insel einen (Zweit-) Wohnsitz zu errichten ist gar nicht so schwer. Auf spanischen Inseln machen das ja sehr viele, und das Internet ist voll von mehr oder meist weniger schlauen Auswanderungstipps. Ob die Sache sinnvoll ist, das ist eine andere Frage.

Außerdem gibt es Gott sei Dank keine riesigen Zweitwohnsitzanlagen, wie sie in Spanien ohne jede Rücksicht auf Aussehen und Umwelt (oft ohne Genehmigungen) einfach hingeklotzt werden. 

Wer im Winter wirklich einmal auf einer der im Sommer so traumhaften Ägäischen Inseln war, dem ist die Lust auf einen längeren Aufenthalt ziemlich schnell vergangen: Es ist kalt, windig, zieht überall rein, fast alles hat zu, das Meer ist abweisend und absolut nichts, aber wirklich nichts ist los.

Loutro (Kreta): kurze Sommeridylle, dann geschlossen (Foto: Wolfgang Ludwig).

Dramatische Bevölkerungsentwicklung

Die jungen Griechen haben ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihrem Land. Nichts wie weg, lautet da die Devise. Seit 2013 sind es jährlich bis zu 100.000 (in manchen Jahren auch mal weniger) meist junge Leute mit guter Ausbildung, die das Land wegen der Perspektivlosigkeit und geringer Verdienstmöglichkeiten verließen.

Dieser Brain-Drain bedeutet neue Probleme für Griechenland: Der Staat kommt für die Ausbildung der Menschen auf, hat aber keinen Nutzen davon. Diese qualifizierten Arbeitskräfte fehlen im Land. Waren es früher noch die Albaner oder Nordmazedonier, die zur Arbeit kamen, suchen sich diese jetzt vermehrt besser bezahlte Jobs anderswo in der EU. Auch den Touristen bleiben die Probleme nicht verborgen. Rezeptionen sind weniger lang geöffnet, Restaurants schließen früher, oft hat man den Eindruck, Fachkräftemangel ist auch ein Thema.

Zurück bleiben die älteren Menschen: 22% der Bevölkerung sind über 65 Jahre (in Österreich sind es 19,8%, in Irland nur 15%). Die Todesfälle übertreffen die Geburten bei weitem, die Bevölkerungszahl sinkt seit 2011 beständig und beträgt derzeit 10,5 Millionen.

Während es in Mitteleuropa nach dem 2. Weltkrieg einen Babyboom gab, fehlte dieser Zuwachs in Griechenland wegen Bürgerkrieg, Militärdiktatur und Auswanderung völlig.

Inseln als Problemorte

Auf den Inseln war die Lebenssituation vor dem Tourismus besonders prekär und führte zu extremer Abwanderung auf das Festland und ins Ausland, meist in die USA, nach Kanada und Australien.

Die Auswanderung erfolgte wellenweise Anfang, dann in der Mitte des 20. Jahrhunderts und zuletzt verstärkt nach der griechischen Wirtschaftskrise. Allein zwischen 1950 und 1975 verließen mehr als eine Million Griechen und Griechinnen die Heimat, 600.000 gingen nach Deutschland, nur wenige nach Österreich. Auf vielen kleineren Inseln bestand Gefahr der völligen Entvölkerung. Landwirtschaft war wegen Bodenverlusten durch Abholzung kaum mehr möglich, Olivenplantagen sind noch ein Rettungsanker, der aber erst ab einer Größe von zumindest 400 Bäumen rentabel ist. Der ab 1970 aufkommende Inseltourismus brachte dort, wo ein Flugplatz errichtet wurde, ein wenig Linderung, leidet aber bis heute an der Einsaisonalität.

Minischulen

Die griechische Regierung versuchte gegenzulenken. Seit 2020 gibt es 2000€ als staatliche Prämie für jede Geburt. Beide Elternteile haben nach der Geburt Anrecht auf je vier Monate „bezahlten Urlaub“ (ähnlich wie die Karenzzeit in Österreich, nur deutlich kürzer). Auch neue Kinderbetreuungsplätze werden geschaffen, zu einem großen Teil mit EU-Förderungen.

Für die (kleinen) Inseln gibt es spezielle Programme. Geförderte „gemeinwirtschaftliche Flüge“ zu den nächsten Zentren (z.B. Rhodos oder Sitia auf Kreta) ermöglichen den Bewohnern Erledigungen oder medizinische Betreuung in den höheren zentralen Orten bei teilweiser Rückerstattung der Reisekosten über Versicherungen. Für Touristen bieten diese Flüge leichtere Erreichbarkeit abgelegener Ziele, die oft nur zweimal pro Woche von Fähren bedient werden, wobei die Schiffsverbindungen im Herbst und Winter wetterbedingt längere Zeit ausfallen können. 

Die Fähre aus Rhodos kommt nach Kasos (Foto: Wolfgang Ludwig).

Auf vielen kleinen Inseln werden vom Staat Schulen vom Kindergarten bis zur Matura angeboten. Es sind zwar oft nur ganz wenige Schüler und Schülerinnen pro Klasse vorhanden, aber gäbe es diese Schulen nicht, würden alle Familien mit Kindern sofort abwandern. Lehrkräfte, die sich zum Unterricht auf kleinen Inseln verpflichten, erhalten Steuererleichterungen.

Die junge Maria aus Kasos, die in einem Hotel auf der Nachbarinsel Karpados arbeitet, äußert sich sehr positiv über den Unterricht in den kleinen Klassen. Sie meint, so habe sie wenigstens recht gut Englisch gelernt.

Die Maßnahmen des Staates zeigen Wirkung: Auf größeren Inseln wie Rhodos, Kos oder Kreta ist die Einwohnerzahl sogar leicht gestiegen, auf mehreren kleinen Inseln hat sie sich zumindest stabilisiert.

Die Fähre bringt alles, auch neue Küchenmöbel (Foto: Wolfgang Ludwig).

Im August kommen die Amerikaner

In der kleinen Ortschaft Aperi (355 ständige Einwohner) auf Karpados kann man die Auswirkungen der Auswanderung ganz gut sehen. Das Dorf gilt als sehr wohlhabend, weil viele der in die USA Ausgewanderten auch in zweiter Generation noch stark mit der Heimat verbunden sind und einen Teil des Sommers dort verbringen. Dabei werden die sonst leerstehenden Familienhäuser großzügig renoviert, Geld auf der örtlichen Sparkasse angelegt und in der lokalen Gastronomie üppige Familienfeste mit zahlreichen Gästen gefeiert. Von diesem Umsatz zehren die Lokalbesitzer lange. Der kleine Salat und die paar Getränke, die der Autor und die Gäste aus Österreich in einer örtlichen Taverne als einzige Gäste konsumierten, sind dagegen eine vernachlässigbare Größe. Trotzdem erzählte der Wirt sehr freimütig und sehnte im Juni schon den August herbei, „wenn endlich die Amerikaner kommen“.  

Alle Läden zu – bis die Amerikaner kommen (Foto: Wolfgang Ludwig).

Der Postflieger

Die kleine Insel Kasos (ca. 1000 Ew. auf 66km2) liegt zwischen Kreta und Karpados verkehrsmäßig wirklich abgelegen. Die Fähre aus Rhodos kommt einmal in der Woche, dafür gibt es fast täglich einen gemeinwirtschaftlichen kleinen Flieger (eine Dash 8-100 der Olympic mit 37 Plätzen), die ähnlich wie ein Regionalbus zwischen Rhodos, Karpados, Kasos und Sitia hin- und herpendelt. Der Flugbegleiter, der uns von einem vorherigen Flug bereits kennt, ist bestens drauf und fragt nach weiteren Reiseplänen Die Passagierzahl ist sehr überschaubar, sehnsüchtig werden von der Inselbevölkerung aber die von Rhodos mitgebrachten Amazon – Pakete erwartet, denn Kleider- oder Schuh- oder Haushaltsläden gibt es auf der Insel nicht.

Der Postflieger kommt (Foto: Wolfgang Ludwig).

Internetbestellungen sind der Ausweg

Stavros Manousos vom Hotel Anagennisis holt die Gäste, die mit dem Flieger aus Rhodos und Karpados ankommen (sieben Minuten Flugzeit von Karpados!), gerne mit dem Auto ab und erzählt ebenfalls von amerikanischen und kanadischen Griechen, die im Juli und August kommen. Dann freut er sich über die volle Belegung des Hotels und die drei Tavernen im Hauptort Fri über mehr Gäste.

Stavros spricht auch ein Problem an, das ebenso für andere Inseln gilt: Die Wasserversorgung. Es gibt für die Zahl der Besucher einfach nicht genug Wasser, das dann umständlich und teuer vom Festland oder von Kreta herbeigeschafft werden muss. Das heißt: Eigentlich eignen sich viele Inseln überhaupt nicht für den Tourismus.

Auf Kasos jährt sich 2024 zum zweihundertsten Mal das Massaker und der fast völligen Ausrottung der damaligen Bevölkerung durch osmanische Truppen nach einem Aufstand der griechischen Bevölkerung. Zahlreiche Veranstaltungen stehen auf dem Programm.

Großstadtfeeling in Sitia

Sitia (Kreta) ist der Endpunkt des „Postfliegers“. Der nette Flugbegleiter grüßt wieder sehr freundlich, man kennt sich ja inzwischen. Obwohl nur 10.000 Einwohner, kommt einem der Ort nach den kleinen Inseln wie eine Großstadt vor, die mit allen Einrichtungen ausgestattet ist.

Aber auch hier ist nicht alles ideal: Wenn die Saison Anfang Oktober zu Ende geht, steht die Olivenernte auf dem Programm. Einige Lokale haben zwar immer noch offen, die Gästezahl ist aber überschaubar. Nach der Erntezeit folgt für viele die Arbeitslosigkeit, das heißt mit ca. 500€ auskommen (es gibt 10% Kinderzuschläge). Selbstständige können nur hoffen, während der Saison genug angespart zu haben.

So schön Griechenland also im Sommer auch sein mag, die Probleme lassen sich nicht wegleugnen.

Arbeiter protestieren am 1. Mai in Heraklion gegen soziale Missstände (Foto: Wolfgang Ludwig).

Dieser Beitrag wurde verfasst von: Mag. Wolfgang Ludwig

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