EuGH: Deutschland darf Passagierdaten nicht mehr systematisch auswerten

Europäischer Gerichtshof (Foto: Cédric Puisney from Brussels).
Europäischer Gerichtshof (Foto: Cédric Puisney from Brussels).

EuGH: Deutschland darf Passagierdaten nicht mehr systematisch auswerten

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Die Bundesrepublik Deutschland kassierte vor einigen Wochen vor dem Europäischen Gerichtshof in Sachen Überwachung der Fluggastdaten eine heftige Klatsche. Das Höchstgericht erklärte die bisherige Praxis für rechtswidrig. Nun müssen das Bundeskriminalamt, aber auch die Gesundheitsbehörden, die anlasslose Datenauswertung massiv einschränken.

Seit dem Jahr 2018 werden die so genannten Passanger Name Records (PNR) von Passagieren gespeichert. Die entsprechende EU-Verordnung sieht zahlreiche Parameter vor, die enthalten sein müssen. Beispielsweise handelt es sich dabei um den Namen des Passagiers, die Flugstrecke, den Sitzplatz, aber auch die Art und Wiese wie der Flugschein bezahlt wurde.

Vorgesehen ist, dass in konkreten Verdachtsfällen die PNRs ausgewertet werden, um beispielsweise Bewegungsprofile von Verdächtigten erstellen zu können. Grundsätzlich ist vorgesehen, dass der Zugriff nur beim Verdacht auf schwere Verbrechen wie Terrorismus erfolgen darf. In Deutschland hat man dies aber gänzlich anders ausgelegt, was die Angelegenheit letztlich vor den Europäischen Gerichtshof gebracht hat.

Ganz abgesehen vom Bundeskriminalamt haben auch die Gesundheitsbehörden Zugriff auf die Aufzeichnungen erhalten. Diese wurden systematisch weitergeleitet und das obwohl die EU-Kommission wiederholt darauf aufmerksam gemacht hat, dass es keine Rechtsgrundlage für das Vorgehen der deutschen Behörden gibt.

Bundesrepublik hat Daten systematisch ausgewertet

Deutschland hat die Daten aber auch für die allgemeine Strafverfolgung systematisch ausgewertet und die PNRs wesentlich länger gespeichert als in der EU-Verordnung vorgesehen. Gegenüber der Tageszeitung TAZ nennt das Bundeskriminalamt konkrete Zahlen. Zwischen August 2018 und April 2022 habe man die Datensätze von 145.821.880 ausgewertet und gespeichert.

Das Bundeskriminalamt (BKA) muss die anlasslose Fluggastüberwachung nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juni massiv einschränken. Auf Anfrage der taz nennt das BKA nun erstmals Zahlen zu Umfang und Struktur der Datenauswertung. Man räumte auch ein, dass man systematisch nach bislang „unbekannten Straftätern“ mit Hilfe von Algorithmen gesucht habe. Sonderlich erfolgreich war man nicht, denn man hatte nur rund 670 Treffer in vier Jahren.

Der Europäische Gerichtshof erklärte die bislang in Deutschland praktizierte Praxis am 21. Juni 2022 für rechtswidrig. Die Richtlinie wäre nur dann mit EU-Recht in Einklang zu bringen, wenn diese eng ausgelegt werden würde. Das war in der Bundesrepublik nicht der Fall, denn das nationale Gesetz ging weit über die Richtlinie hinaus.

Konkret untersagt der EuGH den deutschen Behörden, dass die PNRs stolze fünf Jahre lang gespeichert werden. Maximal sechs Monate sind aus der Sicht der europäischen Höchstrichter zulässig. Die Bundesrepublik hielt dagegen, dass nach einem halben Jahr die Daten „unkenntlich“ gemacht würden. Der Umstand, dass die Entfernung der Namen auf gerichtliche Anordnung rückgängig gemacht werden konnte, überzeugte den EuGH aber nicht.

Künstliche Intelligenz darf nicht mehr verwendet werden

Auch die Verwendung von Algorithmen zur systematischen Auswertung der PNRs hält der Europäische Gerichtshof für unzulässig. Das Höchstgericht schränkt die Datenverwendung auf zwei schwere Straftaten ein: Terrorismus und Verbrechen, die unmittelbare Auswirkungen auf den Flugverkehr haben könnten. Als Beispiel für den zuletzt genannten Verwendungsumstand sind mögliche Entführungen von Verkehrsflugzeugen zu nennen. Abfragen und Auswertungen für sonstige Kriminalität sind laut EuGH unzulässig. Das gilt auch für die Datenweitergabe an Gesundheitsbehörden.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist noch weitereichender, denn die bislang praktizierte anlasslose PNR-Speicherung von Reisen innerhalb des Unionsgebiets wurde ebenfalls für unzulässig erklärt. Diese darf nur dann erfolgen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche terroristische Bedrohung gibt. Damit wird künftig der Großteil der bislang aufgezeichneten Datensätze nicht mehr gespeichert werden dürfen.

Ausdrücklich halten die Höchstrichter fest, dass eine etwaige Auswertung nur noch händisch, sprich durch Beamte, erfolgen darf. Der bislang praktizierte Einsatz von Algorithmen ist unzulässig. Der EuGH führte hierzu an, dass der Anteil der „falsch positiven Treffer“ viel zu hoch wäre. In der Tat: Allein zwischen 2018 und 2019 sollen fünf Sechstel zu falschen Verdächtigungen geführt haben.

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Amely Mizzi ist Executive Assistant bei Aviation Direct Malta in San Pawl il-Baħar. Zuvor war sie im Bereich Aircraft and Vessel Financing bei einem Bankkonzern tätig. Sie gilt als sprachliches Talent und spricht sieben Sprachen fließend. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten in Österreich auf der Schipiste und im Sommer an Mittelmeerstränden quasi vor der Haustür auf Gozo.
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