Schriftzug Dr.-Dollfuß-Gedächtnisstätte (Foto: Jan Gruber).
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Umstrittenes Ausflugsziel: Dr.-Dollfuß-Gedächtnisstätte auf der Hohen Wand

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In Österreich gibt es einige „Ausflugsziele“, bei denen die kritische Frage warum es diese überhaupt (noch) gibt, durchaus angebracht ist. Ganz oben dürfte dabei die Dr.-Dollfuß-Gedächtnisstätte, die sich seit 1935 auf der Hohen Wand in Niederösterreich befindet, stehen.

Kaum eine Person der österreichischen Politik, die schon lange verstorben ist, wird kontroverser diskutiert wir Engelbert Dollfuß. Je nach politischer Ansicht wird er als „Märtyrer-Kanzler“, der im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallen sein soll verehrt oder aber als Arbeitermörder bezeichnet. Unabhängig davon ist es eine Tatsache, dass Dollfuß zunächst als Bundeskanzler in einer bürgerlichen Koalition regierte. Im Jahr 1933 nutzte er zwei Umstände zur Abschaffung der Demokratie und zur Errichtung des austrofaschistischen Regimes: Eine Abstimmungspanne im Parlament führte dazu, dass dieses beschlussunfähig wurde. Statt ein neues Präsidium zu wählen setzte Dollfuß die Polizei ein, um eine erneute Zusammenkunft zu unterbinden.

Parallel dazu unterließ Bundespräsident Wilhelm Miklas seine verfassungsmäßige Pflicht entsprechend einzugreifen. Der Verfassungsgerichtshof, der dem Treiben noch Einhalt hätte gebieten können, wurde durch den Rücktritt regierungsnaher Richter, deren Positionen nicht nachbesetzt wurden, außer Gefecht gesetzt. Gleichzeitig gab es für Dollfuß und seine Diktatur Unterstützung aus Italien und zwar in Form der katholischen Kirche, der eine regelrecht „staatstragende Rolle“ eingeräumt wurde und von Diktator Benito Mussolini, der als „Schutzmacht“ gewonnen werden konnte.

Ermächtigungsgesetz aus dem Ersten Weltkrieg „ausgegraben“

Dollfuß regierte zunächst mit Hilfe von Notverordnungen, die auf dem kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz aus der Zeit des Ersten Weltkriegs basierten. Dieses Gesetz hatte man bei der Gründung der ersten Republik nicht außer Kraft gesetzt. Warum ist übrigens bis heute umstritten. Jedenfalls machte es sich Dollfuß nützlich und wollte aus Österreich einen katholischen Gottesstaat auf ständischer Grundlage „unter starker autoritärer Führung“ schaffen. Dagegen liefen insbesondere die Sozialdemokraten, deren Partei im weiteren Verlauf verboten wurde, Sturm. Es gipfelte in einem Bürgerkrieg, der gewaltsam niedergeschlagen wurde. Besonders die umstrittenen Todesurteile, die gegen Sozialdemokraten bzw. Angehörige des Republikanischen Schutzbundes ergangen sind, bewirken bis heute, dass Dollfuß aus Sicht des roten politischen Lagers als Arbeitermörder eingestuft wird.

Im bürgerlichen Lager sieht man das ein bisschen anders, denn ernsthaft distanziert hat man sich vom Abschaffer der Demokratie nie. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn auch lange nach dem Jahr 1945 werden noch immer Gedenkstätten gepflegt, Gedenkmessen abgehalten und Dollfuß als Märtyrer-Kanzler gefeiert. Dahinter dürfte auch stecken, dass besagter Bundeskanzler im Jahr 1934 von einem österreichischen Nationalsozialisten ermordet wurde.

Dieser Umstand wurde sofort nach seinem Tod in der austrofaschistischen Propaganda regelrecht „ausgenutzt“. Der neue Bundeskanzler, ebenfalls diktatorisch regierend, Kurt Schuschnigg baute einen Personenkult um den toten Engelbert Dollfuß auf. Gedenkstätten wurden errichtet, Briefmarken und Münzen zierten das Konterfei des Verstorbenen und im so genannten Dollfuß-Lied kommt die Phrase vor „Ein Toter führt uns an“.

Personenkult um toten Engelbert Dollfuß wirkt bis heute nach

Schuschnigg war als Justizminister der „Techniker“ hinter der Ausschaltung des Parlaments und Umbau der Republik in eine Diktatur. Im Gegensatz zu Dollfuß war er in der weiten Bevölkerung nahezu unbekannt und seine Ausstrahlung war in etwa mit einem schüchternen Burschen vergleichbar. Somit war es für ihn zunächst ein bedeutsamer Vorteil den Vorgänger Dollfuß zum Märtyrer zu propagieren und einen Personenkult um den Toten aufzubauen. Unter dem Schuschnigg-Regime wurden unzählige Plätze, Straßen, Gebäude, Kirchen und Gedenkstätten zu Ehren von Engelbert Dollfuß umbenannt oder gar neu errichtet. Einige davon existieren bis heute und zu diesen zählt die Dr.-Dollfuß-Gedächtnisstätte auf der Hohen Wand.

Das Dollfuß-Regime wurde im Jahr 1938 von Hitler-Deutschland in die Knie getrieben. Es folgte der Einmarsch der Wehrmacht, der kampflos unter zum Teil enorm großem Jubel der Bevölkerung erfolgt ist. In weiterer Folge stürzte Hitler das Deutsche Reich in den Zweiten Weltkrieg. Nach diesem wurde Österreich wieder als unabhängiger Staat erreichtet.

Die Vaterländische Front, die die Einheitspartei unter Dollfuß und Schuschnigg war, wurde freilich nicht mehr errichtet. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von hochrangigen Kontinuitäten, denn manche Regierungsmitglieder des Schuschnigg-Kabinetts bzw. Funktionäre der VF machten in der Zweiten Republik nochmals politische Karriere in der ÖVP und in Landes- und Bundesregierungen. Es ist darauf hinzuweisen, dass nahezu alle hochrangingen VF- und Regierungsmitglieder der letzten Schuschnigg-Regierung die NS-Zeit in Konzentrationslagern verbringen mussten. Dazu zählt auch der diktatorische Kanzler selbst.

Schuschnigg machte sich Comeback-Hoffnungen

Dieser machte sich im Zuge der Gründung der Zweiten Republik und der Österreichischen Volkspartei ernsthafte Hoffnungen, dass er neuerlich die Führung übernehmen kann und wieder an der Spitze des Staats stehen wird. Daraus wurde aber nichts, denn seine ehemaligen Weggefährten bzw. Untergebenen in der Ersten Republik bekannten sich klar und deutlich zur Demokratie und distanzierten sich von Schuschnigg. Beim einstigen Parteikollegen Dollfuß tat man sich mit dieser Distanz wesentlich schwerer und das in einigen Fällen und Regionen sogar bis heute.

Als prominente Beispiele der „Kontinuität“ sind zu nennen: Julius Raab, der unter Kurt Schuschnigg als Handelsminister fungierte, war Gründungsmitglied der Österreichischen Volkspartei, und später sogar langjähriger Bundeskanzler. Ludwig Adamovic, Justizminister unter Schuschnigg, schaffte es in der Zweiten Republik zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs. Leopold Figl, der im Ständestaat eine führende Funktion im Bundeswirtschaftsrat hatte, war ebenfalls Mitbegründer der ÖVP und schaffte es zum ersten demokratisch gewählten Kanzler der Zweiten Republik. Nennenswert ist auch Heinrich Gleißner, der im Jahr 1934 im „VF-Staat“ zum Landeshauptmann von Oberösterreich ernannt wurde. Im Jahr 1945 wurde er nun als ÖVP-Mitglied der erste oberösterreichische Landeshauptmann der Zweiten Republik. Dieses Amt hielt er bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1971 inne.

Kurt Schuschnigg wollte man aber nicht mehr im „Team“ haben. Verbittert wanderte dieser in die USA aus und war viele Jahre lang an einer Universität beschäftigt. Für den Bruch der Bundesverfassung und alle weitere mutmaßlichen Gesetzesübertretungen während der Zeit des Ständestaats wurden weder er noch irgendein anderes damaliges Führungsmitglied jemals juristisch belangt. Da dürften jene, die nach dem Zweiten Weltkrieg „wieder an die Drücker gekommen sind“ schon gesorgt haben. Dazu kommt, dass es wegen der schweren Verbrechen, die das NS-Regime begangen hat, auch relativ einfach war die Zeit des Ständestaats regelrecht aus den Köpfen des „offiziellen Österreichs“ verschwinden zu lassen bzw. als Bollwerk gegen Hitler geschichtlich neu zu interpretieren. Daraus resultiert eine kontroverse Diskussion, die bis heute anhält und es gibt keine einheitliche Sichtweise über die Zeit unter Dollfuß und seinem Nachfolger Schuschnigg.

Dollfuß-Huldigungen auch erst nach 1945 errichtet

Die Dr.-Dollfuß-Gedächtnisstätte auf der Hohen Wand ist ein regelrechtes Paradebeispiel dafür, dass man sich im Umgang mit Hinterlassenschaften aus der Zeit des Austrofaschismus uneinig ist. Diese wurde aber definitiv im Jahr 1935 eröffnet und ist damit eine echte Hinterlassenschaft. Ganz anders sieht es mit Ehrungen, die erst nach 1945 gemacht wurden. Zum Beispiel der umstrittene Dr.-Dollfuß-Platz in Mank, der erst im Jahr 1965 seinen bis heute gültigen Namen bekommen hat. Die Opposition fordert seit Jahrzehnten, dass dieser vorbelastete Name beseitig wurde, jedoch sieht man seitens der ÖVP, die im Gemeinderat die Mehrheit hat, keinen Anlass dafür. Angeblich soll es sich um den letzten und einigen Dollfuß-Platz Österreichs handeln. Dies wäre gar nicht so verwunderlich, denn in der N.S.-Zeit wurden alle Verkehrsplätze, die seinen Namen getragen haben, umbenannt und nach der Errichtung der Zweiten Republik hat man sich für andere Namen entschieden. Mank ist ein absoluter Sonderfall, denn erst im Jahr 1965 hat man der Verkehrsfläche diesen Namen verpasst.

Unweit davon, in der Gemeinde Texingtal, wurde erst im Jahr 1998 das so genannte Dollfuß-Museum von der Gemeinde eingerichtet und eröffnet. Es befindet sich im einstigen Geburtshaus des Namensgebers. Über viele Jahre hinweg interessierte sich so ziemlich niemand für das von der Gemeinde zu Ehren des einstigen Diktators betriebene Museum, das eher einer Erinnerungs- und Gedächtnisstätte gleicht.

Das änderte sich im Jahr 2021 schlagartig, denn damals wurde Gerhard Karner (ÖVP), der zuvor Bürgermeister von Texingtal war, zum Bundesinnenminister ernannt. Das Dollfuß-Museum war plötzlich national und international in den Medien. Es wurde vorläufig zur „Neukonzeption“ geschlossen. Nun wurde bekanntgegeben, dass es binnen der nächsten Jahre „konstruktiv abgewickelt“ werden soll.

Hohe Wand: Tafel aus dem Jahr 1935 „verschwunden“

Für einen etwas anderen Weg hat man sich bislang auf der hohen Wand entschieden. Die Gedenktafel, die auf der rechten Seite der Gedenkstätte angebracht war, wurde abmontiert. Bislang hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht mittels Farbe zu kaschieren, dass etwas entfernt wurde. Bemerkenswert, denn offenbar will man nicht mehr, dass die Öffentlichkeit weiß, dass die Kirche „im frommen Gedenken an den Märtyrerkanzler Dr. Engelbert Dollfuß“ als „das religiöse Denkmal der Vaterländischen Front“ unter Kurt Schuschnigg und Erzbischof Theodor Innitzer eröffnet wurde. Die Entfernung im Jahr 2023 ist angesichts des Umstands, dass die Tafel schon seit 1935 hing und sogar die NS-Zeit überstanden hat, schon fast lächerlich. Wenigstens wies diese Besucher sofort darauf hin, dass man sich an einem durchaus umstrittenen Ort der Vergangenheit befand.

In der Gedächtnisstätte selbst stehen selbstverständlich Blumen und Kränze, die einen äußerst frischen Eindruck machen. Wer diese Stätte genau pflegt, Blumen und Kränze niederlegt sowie Kerzen austauscht und anzündet, war nicht in Erfahrung zu bringen. Man spricht in der kleinen Ortschaft offensichtlich gar nicht gerne darüber. Es steht halt da und stört seit 1935 keinen und überhaupt? Welche Gedächtnisstätte? In der Region spricht man von der Engelbertkirche und „das da oben“ wäre eine Kirche und sonst nichts. Dass riesig „Dr.-Dollfuß-Gedächtnisstätte“ (mit fehlendem „D“, das wohl jemand als Souvenir mitgenommen haben dürfte“, spielt keine Rolle. Es steht da, es stört niemanden und wieso sollte man eine Kirche „abreißen“ oder ändern.

Ein Anlieger räumte im Gespräch mit Aviation.Direct dann doch ein, dass es ab und an zu so richtig ungebetenen Gästen kommt und es seinen guten Grund hat, dass die Kirche im Regelfall abgeschlossen ist und die Gedächtnisstätte von einer schmutzigen Plexiglasscheibe geschützt wird. Es kommt hie und da mal zu Vandalismus, Diebstahl und dem Besuch ungebetener Sprayer. Stets werden diese aber von der Kirche wieder entfernt bzw. repariert. Da ist man doch ganz froh, dass die Stätte bzw. Kirche ohne Auto nicht erreichbar ist, weil es auf der Hohen-Wand-Straße keinen Busverkehr gibt und noch dazu nur eine unscheinbare blaue Kirchentafel direkt am Fußweg auf die Existenz hinweist. Auf dem einzigen Verkehrsschild ist überhaupt kein Hinweis auf den Namen der Kirche bzw. die Gedächtnisstätte angebracht.

Kennt jemand den richtigen Weg für den richtigen Umgang?

Ein weiteres Beispiel für den halbherzigen Umgang mit der Dr.-Dollfuß-Gedächtnisstätte ist übrigens auch ein Flyer, der rechts neben dem Haupteingang der Kirche in einem Schaukasten angebracht ist. In eher klein gedrucktem Text wird im Schnelldurchgang ohne kritische Betrachtung auf die Baugeschichte der Kirche eingegangen. Aber: Man weist explizit darauf hin, dass Namensgeber der Engelbertkirche nicht Engelbert Dollfuß, sondern der Heilige Engelbert ist.

Vor der Zeit des Nationalsozialismus soll die Dollfuß-Gedächtnisstätte wesentlich prunkvoller gewesen sein. Unbekannte NS-Anhänger haben die Fresken, die den Toten gezeigt haben sowie eine Statue abgeschlagen bzw. zerstört. Bemerkenswerterweise hat die Stätte als solche diese Zeit nicht nur überstanden, sondern wurde seit 1945 mehrfach renoviert und wird noch immer regelmäßig mit frischen Blumen, Kränzen und Kerzen versorgt.

Wie geht man richtig mit solchen historisch vorbelasteten Bauwerken um? Ist es der richtige Weg einfach die ursprüngliche Gedenktafel, die vermutlich ohnehin so gut wie niemand gelesen hat, abzuhängen? Oder sollte man riesige Hinweistafeln über die Geschichte aufstellen, die dann besonders junge Menschen, die oftmals mit den Namen Dollfuß und Schuschnigg nichts anfangen können, nicht verstehen? Die Stätte einfach anderweitig nutzen oder gar abreißen? Oder einfach alles lassen wie es ist – Geschichte ist eben Geschichte? Genau dieser Diskurs wird in Österreich seit Jahrzehnten mal stärker, mal schwächer, mal gar nicht geführt und eine „richtige Antwort“, mit der alle einverstanden wären, hat noch niemand gefunden.

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2 Comments

  • Wolfgang Ludwig , 27. Oktober 2023 @ 22:50

    Die Kritik an diesem seltsamen “Gedächtnisort” ist durchaus berechtigt!
    Wer ist für die Erhaltung verantwortlich?

  • Robert Sternschulte , 14. November 2023 @ 16:41

    Als Deutschem waren mir die Hintergründe zu Dollfuß und Schuschnigg weitegehend unbekannt. Nur der sog. “Anschluß” Österreichs ist bei mir damals im Geschichtsunterricht besprochen worden.

    Inhaltlich erinnert mich das etwas an die Debatte über die Bewertung von Stephan Bandera in der Geschichte der Ukraine.

    Meines Erachtens Verhalten sich Gruppen von Faschisten letztlich wie kriminelle (Drogen-)banden. Die foltern und ermorden nicht nur ihre gemeinsamen Gegner, sondern auch einander wenn es Ihnen nützlich erscheint.
    Wenn ein Diktator von einem anderen Diktator gefoltert oder ermordert wird, ist der dadurch zu einem Opfer, aber nicht zu einem Helden geworden.

    Ich finde es beachtlich und lobenswert, dass auf einem Portal über Aviatik und sonstige Touristik auch so ein kontroverses und dunkles Thema so ausführlich und differenziert angesprochen wird.

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