Es geschah im Jahr 1957: Walter Faber flog mit einer Super – Constellation einer US-Fluglinie von New York kommend über Houston nach Mexiko – City. Über dem Golf von Mexiko setzte links ein Motor aus.
Die Passagiere wurden aufgefordert, vorsichtshalber die Schwimmwesten anzulegen, aber: „There is no danger at all.“ Eine Sicherheitslandung wollte der Kapitän nicht durchführen, lieber gleich nach Mexiko – City weiterfliegen, mit drei laufenden Motoren kein Problem. Faber wollte wissen, wo sich die Maschine befand, jedoch „eine anständige Landkarte, wie bei der Swissair immer zur Hand, gab es hier nicht.“
Dann wurde Lunch serviert. Doch während des Essens setzte ein zweiter Motor aus. Nun herrschte Panik an Bord. Jetzt entschloss sich der Kapitän zu einer Notlandung in der Wüste von Tamaulipas. Wer wissen will, wie´s weitergeht, möge „Homo Faber“ von Max Frisch lesen.
Die genauen Streckenkarten, von denen Walter Faber spricht, interessieren heute fast niemanden mehr. Die meisten Passagiere in den viel zu engen Sitzreihen hoffen eher, dass alles bald vorbei ist, welche Gegenden man überfliegt, ist den meisten egal.
Bordmagazine mit Streckenkarten
Viele Fluglinien haben ihre Bordmagazine und Overhead-Screens längst abgeschafft, zwar aus finanziellen- oder Gewichtsgründen, aber wirklich bedauert haben das wohl die wenigsten. Und diejenigen, die noch ein Bordmagazin anbieten, stellen ihr Streckennetz auf stark vereinfachten Karten in großen Maßstäben nur mit geraden Verbindungslinien dar.
Was für ein Unterschied zu heute: In einem Austrian Bordmagazin aus 1986 (siehe Bild 1) werden die Flugrouten im Mittelmeerraum mit 1:5 000 000 halbwegs nachvollziehbar wiedergegeben – je nach Sitzposition ließen sich Städte wie z.B. Rijeka, Ancona auf der Rom – Route oder Orte auf den Balkanstrecken relativ genau bestimmen. Bei einigen Städten wurden sogar die Lande- und Startschleifen angegeben. Da Großflughäfen heute über mehrere Pisten in verschiedene Richtungen verfügen, ist diese Angabe jetzt weniger sinnvoll. Das Kartenmaterial im Austrian Bordmagazin umfasst stolze 15 Seiten, bei einer Gesamtseitenanzahl von 60 Seiten immerhin 25%!
Die Kartographie der Austrian Karten aus dieser Zeit stammt vom traditionsreichen Verlag Ed. Hölzel (gegr. 1894), der für die Streckenkarten dasselbe Kartenmaterial mit sehr anschaulichen physischen Bodendarstellungen wie für die damals üblichen Schulatlanten verwendete.
Auf der Streckenkarte der Interflug (DDR, 1983, Kartographie Haack, Gotha) im Maßstab1: 15 000 000 lassen sich zwar wegen der großen Maßstabszahl keine Details mehr ausmachen, manche Streckenführungen zeigen aber die politische Realitäten des Kalten Krieges deutlich. Man beachte etwa die Routenführung von Berlin (Ost) nach Brüssel, die wegen des Überflugverbotes über die BRD einen weiten Bogen nach Norden macht (Bild 2). Routen in Westeuropa fehlten weitgehend. Die Wien – Route der Interflug wurde auf einer anderen Karte dargestellt. Auch hier liegen den Strecken physische Karten aus der renommierten Anstalt von Hermann Haack zugrunde. Die Bodenformationen treten plastisch hervor. Die Streckenkarten (17 Seiten!) haben unterschiedliche Maßstäbe.
Gelungene und weniger gelungene Karten
Das dritte Beispiel stammt aus einem Flugatlas der alten Swissair aus dem Jahr 1984 (Kartographie Lüthi + Ramseier, Bern – Bild 3). Gebirge sind mit gewöhnungsbedürftigen, starken Schattierungen dargestellt, die grüne Farbe symbolisiert niedrige Höhenstufen, nicht die Bodenbedeckung. Zumindest der Küstenverlauf lässt sich auch bei einem Maßstab von
ca. 1:30 000 000 nachvollziehen. Der Flight Atlas der Swissair besteht aus 11 Kartenseiten mit unterschiedlichen Maßstäben, einer Zeitzonenkarte, Flug- und Inflight-Shopping Informationen und technischen Details der Flugzeuge. Ein Bordmagazin wurde zusätzlich ausgegeben.
Falls Fluglinien heute überhaupt noch ein Bordmagazin anbieten, sind Karten nur noch Nebensache und dienen der Darstellung des Flugnetzes, das mit geraden Linien auf meist ein- oder zweifarbigem Untergrund dargestellt wird. Mit der realen Streckenführung haben diese Linien nicht viel zu tun.
Auch Overhead – Bildschirme wurden von vielen Fluglinien aus Kostengründen wieder abgeschafft. Deren geografischer Informationsgehalt war aber ohnehin sehr gering.
Auf Bild 4 ist die Streckenführung nur noch symbolisch dargestellt, als Basis dient aber eine recht anschauliche physische Karte (Bild 4, SAS, 1995). Man merkt gleich, dass auch hier Schulkartographie dahintersteckt.
Etwas skurril wirkt die Streckenkarte der Malev aus 1992 (Bild 5): Die Basis ist ein schlechtes Satellitenbild, von dem ein großer Teil von Wolken verdeckt ist. Außer den Liniensignaturen der Strecken und der Beschriftung der Ziele kann man keine brauchbaren Informationen entnehmen.
Die meisten Passagiere stört der Mangel an räumlichen Informationen zum Flug überhaupt nicht. Die Reise wird von Raum und Distanz völlig entkoppelt.
Für diejenigen, die den Flug räumlich einordnen wollen, steht natürlich flightradar zeitnah über Bord-WLAN oder nach der Reise zur Verfügung. Die physische Geländedarstellung ist gar nicht so schlecht, die Namensnennung ist aber fast nur auf Siedlungen beschränkt. Elektronische Karten haben ja auch in der Straßenkartographie herkömmliche Karten weitgehend verdrängt.
PS: Falls Sie es doch wissen wollen: Die eingangs angedeutete Notlandung in der Wüste von Tamaulipas verlief gut, bis zur Rettung dauerte es aber unglaubliche vier Tage! Nicht realistisch? In der fiktionalen Literatur schon! Aber die Notlandung ist ja nur ein kleiner Teil einer noch viel unglaublicheren Geschichte mit einer jungen Frau…
Dieser Beitrag wurde verfasst von: Mag. Wolfgang Ludwig.
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