Dauerkrise: Boeing-Chef Calhoun kündigt Rücktritt an

Salt Lake City Boeing Office (Foto: Boeing).
Salt Lake City Boeing Office (Foto: Boeing).

Dauerkrise: Boeing-Chef Calhoun kündigt Rücktritt an

Salt Lake City Boeing Office (Foto: Boeing).
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Der U.S.-amerikanische Flugzeugbauer Boeing befindet sich seit vielen Jahren in einer Dauerkrise, denn in fast schon „regelmäßigen“ Abstände sorgt man für Skandale. Nun treten der Konzernchef und der Leiter der Zivilflugzeugsparte ab. Zu groß scheint der Druck von allen Seiten zu sein. Wie konnte sich Boeing von einem Vorzeigeunternehmen so einem regelrechten „Chaotenhaufen“ transformieren?

Über Jahrzehnte hinweg galten Flugzeuge des Herstellers Boeing als der Inbegriff von Innovation, Zuverlässigkeit und durchaus auch Sicherheit. Unter Innovation ist zu verstehen, dass man zwar die eine oder andere Neuheit auf den Markt gebracht hat, jedoch in vielen Belangen eher konservativ war und kleineren Herstellern wie McDonnell Douglas oder Lockheed Martin die „Kinderkrankheiten“ überlassen hat. Boeing zog dann nach, wenn die Technologie ausgereift war. Beispielsweise hielt man vergleichsweise lange am Dreimann-Cockpit fest und lieferte gar einer australischen Airline auf besonderen Wunsch B767 mit einer Art Panel für Flugingenieure.

Während der einstige Kassenschlager B727 auf Flugingenieure angewiesen war, ist das beim Nachfolger B737 von Anfang an nicht mehr der Fall. Mittlerweile wurden erheblich mehr B737 in verschiedenen Varianten gebaut als B727. Bei vielen Airlines ist die Boeing 737 das Arbeitstier auf der Kurz- und Mittelstrecke. Natürlich gab es auch schon vor der Max-Variante fatale Abstürze, jedoch kann auch der Konkurrent Airbus auf keine makellose Weste bei der A320-Familie blicken.

Wendepunkt: Übernahme von McDonnell Douglas

In der Firmengeschichte von Boeing gab es einen eklatanten Wendepunkt, denn in den 1990er-Jahren hat man den Konkurrenten McDonnell Douglas übernommen. Jenen Konzern, der sein Kürzel von „DC“ in „MD“ änderte, weil man sich aufgrund von Unfallserien bei den Baureihen DC-0 und DC-10 einen miserablen Ruf eingehandelt hat. Es gibt gewisse Parallelen zur Max-Misere, denn auch die DC-10 kassierte vorrübergehendes Flugverbot und zunächst versuchte der Hersteller die Mängel zu verleugnen und den Piloten die Schuld in die Schuhe zu schieben. Genau zu dieser Strategie griff Boeing nach dem fatalen Unfall der Lion-Air-B737-Max-8 ebenfalls und auch kurz nach dem Absturz der B737-Max-8 wollte man noch immer nicht eklatante Mängel einräumen. Auch verschwieg man so allerhand vor Kunden, Behörden uns sogar den eigenen Mitarbeitern. Genau damit hatte McDonnell Douglas Erfahrung.

Während der militärische Bereich von MD in den 1990er-Jahren wesentlich besser ausgestellt war als jener von Boeing, sah es im zivilen Bereich ganz anders aus. McDonnell Douglas hat sich lange auf Lorbeeren in Form von einstigen Bestsellern „ausgeruht“ und zu spät erkannt, dass immer mehr Kunden in Richtung Boeing und Airbus abgewandert sind. Bei der Konkurrenz gab es insbesondere Muster, die weniger Treibstoff verbrauchen. Nach und nach kam MD in eine schwierige Situation und dann fusionierte man mit Boeing. Formell war es eine Übernahme durch das zuletzt genannte Unternehmen.

Rasch wurde das zivile Programm von McDonnell Douglas aufgegeben. Lediglich die MD-95 wurde noch als B717 auf den Markt gebracht und für einige Jahre gebaut. Doch in Boeing steckt weit mehr als nur das ehemalige MD-Logo im Firmenlogo von Boeing. Ja, in der Tat nach dem Zusammenschluss wurde die Bildmarke von McDonnell Douglas in die CI von Boeing integriert und ist bis heute fixer Bestandteil des Logos.

MD-Seilschaften haben nach und nach intern übernommen

Intern war es keinesfalls eine Übernahme von McDonnell Douglas durch Boeing. Der Umstand, dass verschiedene zivile Fertigungsstätten entweder aufgelassen wurden oder aber mit der Endmontage von Boeing-Modellen beauftragt wurden, hat auch dazu führt, dass enorm viele ehemalige MD-Mitarbeiter im gemeinsamen Konzern Karriere gemacht haben. Viele Schlüssel-Positionen gingen nach und nach an ehemalige Mc-Donnell-Douglas-Kräfte und diese haben natürlich „ihre Freunde“ nachrücken lassen. Nicht ohne Grund lästert man bei „Ex-Boeing“, dass intern eine Übernahme von Boeing durch McDonnell Douglas stattgefunden hat.

Zur Erinnerung: MD war dafür bekannt, dass man vergleichsweise rasch neue Muster entwickeln konnte und diese auf den Markt bringen konnte, sofern man das wollte. Die Unternehmenskultur, dass nicht jeder alles wissen muss oder was man nicht sieht, gibt es auch nicht und so weiter, hat sich nach der Fusion auf Boeing übertragen. Genau diese Art und Weise ist für den Konzern, der einst in Seattle saß und derzeit den offiziellen Sitz nahe Washington hat, massiv nachteilig. Man braucht kein sonderlicher Experte sein, um nachvollziehen zu können, dass regelrechte Seilschaften dafür verantwortlich sind, dass das Spitzenmanagement an eklatant wichtige Informationen gar nicht drankommt. Warum sollte man etwas sagen, das Ärger einbringen könnte und womöglich den eigenen Job in Gefahr bringen könnte? In der Luftfahrt sollte eigentlich die so genannte Just-Culture, die ein wichtiger Bestandteil der Luftsicherheit ist, gelebt werden. Das war aber bei McDonnell Douglas länger nicht der Fall und bei Boeing ist es mittlerweile auch so, denn andernfalls würde die FAA nicht so erhebliche Kritik an der Qualitätssicherung und den Betriebsabläufen ausüben. Die B737-Max war eine sehr schnelle Reaktion auf den Airbus A320neo…

Eigentlich sollte ein Flugzeug erst dann mit Passagieren abheben, wenn keinerlei Zweifel darüber bestehen, dass es nicht eventuell doch unsicher sein könnte. Bei McDonnell Douglas hat man in gewisser Weise „Flugtests“ dem freien Markt überlassen, denn einige Baureihen, die später als enorm sicher galten, hatten in ihren ersten Jahren viele Zwischenfälle und Totalverluste. Doch wie war das möglich? Nun, ein Teil der Gesamtstrategie war auch eine wohlgesonnene Aufsichtsbehörde und die hatte man gezielt „unterlaufen“. Man hat darauf geachtet, dass man gezielt eigene Mitarbeiter in die wichtigsten Positionen bringt und darauf gehofft, dass diese dann dem ehemaligen Arbeitgeber gegenüber wohlgesonnen sind. Damit war man durchaus erfolgreich. Eigentlich hätte es das in den USA nie wieder geben dürfen, aber im Nachgang der B737-Max-Unfälle ist ans Licht gekommen, dass die Arbeit der FAA durchaus hinterfragenswert ist und eine nicht gerade geringe Anzahl von Behördenmitarbeitern vormals für den Boeing-Konzern gearbeitet hat.

Qualitätsmängel noch immer nicht im Griff

Doch alles kommt irgendwann ans Licht. Die Dreamliner hatten in der Anfangszeit massive „Qualitätsmängel“. Boeing ist mit diesem Maschinentyp tatsächlich ein sehr großer und innovativer Wurf gelungen. Allerdings ist die Optik aufgrund der „Kinderkrankheiten“, unter denen die Baureihe am Anfang litt, ein wenig getrübt. Bei der 737-Max-Serie sieht es massiv schlechter aus und an dieser Stelle darf durchaus auch die Rolle der FAA kritisch hinterfragt werden.

Im Nachgang der beiden fatalen Unfälle durften die Maschinen über einen langen Zeitraum hinweg nicht abheben. Enorm viele Mängel sind ans Licht gekommen und kosteten Konzernchef Dennis Muilenburg den Job. Es waren natürlich nicht nur die vielen „Qualitätsprobleme“, sondern auch die Strategie des Verleugnens und Vertuschens, die zu Beginn der „Max-Krise“ gefahren wurde. Jedenfalls hat die FAA vor der Wiederzulassung behauptet, dass die Max-Reihe das am besten geprüfte Flugzeug der Welt wäre.

Offenbar nicht, denn jene Qualitätsmängel, die im Zuge des jüngsten Max-Zwischenfalls bei Alaska Airlines ans Licht gekommen sind, hätten in dieser Form gar nicht auftreten dürfen. Zumal zuletzt Techniker von Boeing im betroffenen Bereich der Maschine gearbeitet haben und laut NTSB die Aufzeichnungen dazu nicht mehr auffindbar sein sollen. Boeing wisse gar nicht welche Mechaniker in diesem Bereich der betroffenen Boeing 737-Max-9 gearbeitet haben. Eigentlich sind Hersteller und MRO-Betriebe dazu verpflichtet solche Dinge genau zu dokumentieren. Eigentlich, denn es handelt sich offensichtlich nur um ein weiteres Kapitel in der chaotischen Geschichte der B737-Max-Reihe.

Boeing-Chef wirft das Handtuch

Derzeit sind die Modelle B737-Max-8 (inklusive der Untervariante 200) und -Max-9 zertifiziert und werden von vielen Fluggesellschaften kommerziell eingesetzt. Die Versionen -7 und -10 haben bis dato keine FAA-Zulassung und das obwohl der Hersteller wiederholt davon gesprochen hat, dass es sich nur noch um wenige Wochen handeln dürfte. Was hindert die FAA daran diese beiden Versionen abzusegnen? Man wird wohl seine guten Gründe haben, die man jedoch (noch) nicht vollständig mit der Öffentlichkeit teilen will. Jedenfalls ist auch aufgrund des Max-9-Zwischenfalls, der anschließend verfügten Untersagung der Ausweitung der Fertigungsrate dieser Baureihe und zahlreichen internen Problemen, die von FAA-Mitarbeitern gefunden wurden, nicht damit zu rechnen, dass in naher Zukunft die Zulassung der beiden verbliebenen Max-Versionen erfolgen wird. Den Gefallen wird die U.S.-amerikanische Zivilluftfahrtbehörde dem Boeing-Konzern nicht tun.

Der Leiter der zivilen Sparte, Stan Deal, ist mittlerweile mit sofortiger Wirkung von seinem Posten zurückgetreten. Auch sein Chef, David Calhoun, hat seinen Rückzug angekündigt. Bis spätestens Jahresende 2024 will er das Unternehmen verlassen. Zuvor kommt noch so einiges an Arbeit auf ihn zu, denn Boeing befindet weiterhin in einer schweren Krise, von der man dachte, dass diese eigentlich überwunden worden wäre. Zumindest ist Calhoun als Nachfolger von Muilenburg angetreten, um den Konzern aus der Krise zu führen. Gelungen ist ihm das bislang nicht und die Ankündigung seines Rücktritts wirkt eher als persönliche Kapitulation vor den Ex-MD-Seilschaften, die in vielen Bereichen von Boeing nicht nur stark sind, sondern über Jahre hinweg auch gezielt „Nachwuchs“ in Form neuer Mitarbeiter in ihre Cliquen aufgenommen haben. Nur wenn es einem neuen Boeing-Chef, wie dieser dann auch immer heißen mag, gelingt tatsächlich Herr im eigenen Haus zu werden, hat die Firmengruppe annähernd eine Chance sich zu sanieren und erfolgreich für die Zukunft aufzustellen. Die Aufgabe wird aber sehr schwierig, denn an „echte Informationen“, kommt man in Krisenzeiten nur dann, wenn das Vertrauen da ist, dass der eigene Job nicht in Gefahr ist.

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